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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

Mein Mann und Borgewski umarmten sich. Dann gingen wir zum Souper, das Borgewski bezahlte. Am Ende des Soupers umarmten sich die beiden Männer wieder und küßten sich. Borgewski küßte mir die Hand und begleitete mich zum Schlitten. Ich war noch nicht eingestiegen, als ein Revolverschuß ertönte, der mir eine Feder auf meinem Hute durchlöcherte. Mein Mann hatte geschossen; Borgewski fiel. Mein Mann lachte laut und rief: „So ist’s gut!“ Borgewski mußte wegen der Schußwunde zweimal operiert werden. Mein Mann nahm sich dann die Tochter und ich behielt mir den Sohn. Bald darauf ging ich mit der Perier und meinem Kinde nach der Krim. Während der Reise begegnete ich auf einem Bahnhofe Borgewski und Stahl. Sie sagten mir, sie würden mich verteidigen und mit mir nach der Krim gehen. Ich ersah daraus, daß Borgewski mich nicht verlassen wollte. Ich habe ihn geliebt, aber ich habe mir gedacht, wenn mein Mann bereit wäre, wieder zu mir zurückzukehren, würde ich Borgewski verlassen. Mein Mann antwortete mir jedoch in einem Telegramm: „Mit uns beiden ist es für immer aus!“ Ich ging dann mit Borgewski. Dieser erkrankte schwer infolge der Wunde, und die Ärzte konstatierten Meningitis. Nach 36stündiger Agonie starb er in meinen Armen. Ich habe Borgewski geliebt. Es ist falsch, daß Stahl dazu beigetragen hat, Borgewski den Todesstoß zu versetzen. Gräfin v. Tarnowska erklärte nun, sie könne absolut nicht weitersprechen und begann heftig zu weinen. Während ihrer Rede verfolgten Naumow und Prilukow ihre Worte mit der größten Aufmerksamkeit. Am folgenden Tage wurde kein weibliches Publikum mehr in den Verhandlungssaal gelassen. Die Angeklagte, Gräfin Tarnowska setzte ihre Aussage fort: Ich kam nach Kiew zurück. Stahl war in den Russisch-japanischen Krieg gezogen. Ich erbat von meinem Gatten die Erlaubnis, meine Tochter sehen zu dürfen, was mir aber nicht gestattet wurde. Während meines Aufenthaltes auf dem Lande gab mir ein Freund

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/36&oldid=- (Version vom 28.12.2022)