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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

begreiflicherweise geradezu beängstigend. Ein ungeheurer Fremdenstrom hatte sich in die prächtige Lagunenstadt ergossen. Jeder wollte Zuhörer und Zuschauer dieses schaurigen forensischen Dramas sein. Allein, da der Gerichtssaal verhältnismäßig klein war, und die aus der ganzen Welt in großer Zahl herbeigeeilten Zeitungsberichterstatter, denen vom Vorsitzenden das größte Entgegenkommen bewiesen wurde, sehr viel Platz einnahmen, so konnte verhältnismäßig nur wenigen Personen aus dem Publikum der Zutritt gewährt werden. Im Mittelpunkt des Interesses stand selbstverständlich Gräfin Mura, genannt Mania Tarnowska. Sie war noch immer von berückender Schönheit. Sie wurde von einer Nonne und zwei Karabinieri in einer Gondel von der Guidecco ins Gerichtsgebäude geleitet. Ihr Gesicht bedeckte ein dichter Schleier. Die Frauenwelt betrachtete auch mit großem Interesse den schönen Naumow, über dessen bleiche Wangen unaufhörlich Tränen flossen. Auch der ehemalige berühmte Moskauer Rechtsanwalt erregte nicht geringes Interesse. – Nach erfolgter Auslosung der Geschworenen, die sehr lange Zeit in Anspruch nahm, wurde mit der Vernehmung des Naumow begonnen. Alle vier Angeklagten hatten während ihrer langen Haft soviel Italienisch gelernt, daß die Verhandlung ohne Dolmetscher geführt werden konnte. Naumow bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden in fließendem Italienisch: Im August 1906 sei er als erster Sekretär beim Gouverneur von Orel eingetreten. Sehr bald darauf habe er im Hause seines Opfers, des Grafen Komarowski, die Bekanntschaft der von ihrem Manne schon damals getrennt lebenden Gräfin Tarnowska gemacht. Die Gräfin machte sofort einen überwältigenden Eindruck auf ihn. Er getraute sich aber nicht, dies ihr zu offenbaren. Deshalb habe er sich dem Grafen Komarowski anvertraut. Mit Hilfe der Zofe Perier entwickelte sich sein Verhältnis mit der Gräfin sehr bald bis zur äußersten Intimität. Die Gräfin reiste mit ihm und lebte mit ihm einige Wochen auf ihrem Landgut,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/23&oldid=- (Version vom 25.12.2022)