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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

Dann sang man Chorlieder unter ihrer Leitung, bis sie auf das Klavier stieg und wieder wie toll zu tanzen begann, wobei sie die „Kamarynskaja“ sang. Schließlich eröffnete sie einen regelrechten Flirt mit dem schönsten der Gäste. Baron Stahl machte ihr erregte Vorwürfe, die sie nur zu weiteren – Ungezwungenheiten anstachelten. Schließlich setzte sie sich auf die Kniee des anderen. Stahl zog einen Revolver hervor; bevor er jedoch abdrückte, fiel er ohnmächtig zu Boden. Es war dies eine chronische Krankheit, eine Folge stetiger Nervenüberreizung. Man mußte ihm Schläfen und Hände stark reiben. Kaum schlug er die Augen auf, da rief er: „Mania!“ Die schöne „Mania“ sang noch immer lustige Lieder. Ein neuer Eifersuchtsanfall Stahls und eine neuerliche Ohnmacht. Da sagte die Tarnowska: „Gehen wir!“ Man ließ Stahl im Kabarett, während seine Angebetete mit ihrem neuen Verehrer verschwand. Tags darauf sah man Baron Stahl und Gräfin Tarnowska, elegant und heiter, in einem Wagen dahinrollen – als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre. Für ihren Ehescheidungsprozeß brauchte die Gräfin einen Advokaten. In Moskau lebte der junge, hübsche Advokat Prilukow, ein Mann von großem juristischem Scharfsinn. Er erfreute sich in juristischen und Laienkreisen eines großen Ansehens und war in allen Schichten der Bevölkerung ungemein beliebt. Seine Praxis brachte ihm eine jährliche Einnahme von 25 bis 30 000 Rubel. Advokat Prilukow besaß trotz seiner jungen Jahre eine hinreißende forensische Beredsamkeit. Sein Fleiß kannte keine Grenzen. Er arbeitete von des Morgens 8 bis nachts 2 Uhr fast ununterbrochen. Er war verheiratet und nannte eine liebreizende junge Frau und zwei bildhübsche, muntere Kinder sein eigen. Das Familienleben des jungen Advokaten war ein selten glückliches. Da wollte es das Unglück, daß eines Tages die bezaubernd schöne Gräfin Tarnowska in das Bureau des Moskauer Rechtsanwaltes trat. Von diesem Augenblicke ab war es um das Lebensglück der

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/16&oldid=- (Version vom 21.12.2022)