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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

seinem Lehrbuche: „Der Richter bei Meineidsprozessen muß besonders vorsichtig sein, da es dabei sehr auf das Gedächtnis und die Gedankenschlüsse ankommt.“ Also selbst wenn Sie der Auffassung des Staatsanwalts beitreten, müssen Sie doch freisprechen, wenn Sie nicht auch überzeugt sind, daß der Angeklagte trotz schlechter Augen Winter persönlich gekannt und an der Photographie erkennen mußte. Ich habe die Überzeugung, Sie werden dem Herrn Ersten Staatsanwalt beipflichten: wenn auch draußen noch so sehr die Parteileidenschaften toben, Sie werden unparteiisch ohne Ansehen der Person Ihres Richteramtes walten. Selbst wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, daß dem Angeklagten ein größerer Verkehr mit Winter nachgewiesen sei, dann können Sie ihn doch nicht wegen wissentlichen Meineides verurteilen, dann müssen Sie sich erst fragen, ob sich der Angeklagte dessen bewußt gewesen sein muß, daß er den Namen Winter nicht gekannt habe. Sie müssen feststellen, ob Lewy die Fähigkeit besitzen mußte, sich darüber klar zu werden, daß das bekannte Bild, dieses alte Bild, einen Mann seines Verkehrs darstellt. Wenn Sie nicht zu dieser Überzeugung kommen, dann müssen Sie meinen Klienten freisprechen. Ich habe das Vertrauen zu Ihnen, meine Herren Geschworenen, daß Sie ihn freisprechen werden. Ich weiß, Sie haben nicht vergessen des Herrn Ersten Staatsanwalts Mahnung, daß Sie nur nach den Eindrücken urteilen dürfen, welche Sie hier im Gerichtssaal empfangen haben. Ich vertraue, daß Sie nicht Ihr Urteil von dem Standpunkt fällen werden: Es rast der See und will sein Opfer haben! Nicht was draußen vorgeht, außerhalb dieses Saales, wird von Einfluß auf Sie sein, sondern hier handelt es sich für Sie nur darum, daß jeder von Ihnen, sehr geehrte Herren, sich sagt: „Ich habe mein Richteramt auszuüben, frei von allen Rücksichten auf die Stürme und Kämpfe im öffentlichen Leben, ich habe das Recht zu suchen, frei von jeder Erregung; ich habe dem Angeklagten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!“ Meine Herren, ich bin dessen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/140&oldid=- (Version vom 21.2.2023)