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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

hatte, war sie im High life von Rußland, Frankreich und Österreich die unbeschränkte Heldin des Tages. Ihrer bezaubernden Schönheit und Anmut konnte kein Männerherz widerstehen. Was machte es ihr aus, daß ihr angetrauter Gatte, der Vater ihrer Kinder ihrer ehelichen Untreue wegen, ins Gefängnis wanderte, wegen Mordes vor die Geschworenen gestellt und womöglich hingerichtet wurde. Was kümmerte sie der von ihrem Gatten durch ihre Schuld in den Kopf geschossene junge Graf Borgewski, der frühzeitig unter heftigsten Schmerzen sterben mußte? Was bedeutete für sie die von ihrem Manne betriebene Ehescheidung? Kleine amüsante Abwechslungen. Das Leben wäre ja zu eintönig und langweilig, ohne solche Vorkommnisse. Sie hatte ja auch Anbeter in Hülle und Fülle. Eheliche und Mutterpflichten sind für das niedere Volk, aber nicht für die Crême der Gesellschaft. Welch tolle Nacht, als ihr Gatte den unglücklichen Grafen Borgewski niederknallte! Man trat aus einem vornehmen Hotel. Man hatte gelacht und gesungen. Die prickelnden Klänge eines lustigen Walzers waren kaum verklungen. Auf dem Boden des Festsaals welkten zertretene Blumen. Aus umgestoßenen Gläsern floß der Champagner. Und draußen lag ein junger Mann, dessen Herzblut große, rote Flecke in den bleichen Schnee zeichnete. Es gefiel der schönen Gräfin, die Leidenschaften der Männer gegeneinander zu peitschen. Ihre Phantasie erfand wilde Kämpfe mit Strömen von Blut. Ihr Leben schien verschleiert von Pulverdampf. Ihre Liebhaber waren Gladiatoren. Sie mußten stets bereit sein, zu sterben. Sie spielte mit den Menschen, und kehrte ihnen verächtlich den Rücken, sobald sie ihren Inhalt erraten hatte. Sie wollte erproben, wie weit ihre Macht reichte. Sie riß die Menschen aus ihrem Gleichgewicht. Sie brach die Kraft der Ungestümen und entflammte das Blut der Schüchternen und Zaghaften. Ihre Liebe war anspruchsvoll. Die sie gewinnen wollten, mußten auf jeden eigenen Willen verzichten; sie

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/14&oldid=- (Version vom 21.12.2022)