Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
|
sei, den Verkehr doch zuzugeben, muß man annehmen, daß der Angeklagte die Wahrheit beschworen hat. – Der Verteidiger ging alsdann des Näheren auf die Zeugenaussagen ein. Viele Zeugen haben unter dem Einfluß der öffentlichen Meinung gestanden. Der Herr Erste Staatsanwalt hat der Verteidigung vorgeworfen, daß sie sich die Photographie von Kroll verschafft hat. Ich mache dem Herrn Staatsanwalt den Vorwurf, daß er sich ein solches Bild im Interesse der Aufklärung nicht schon längst beschaffte. Bei dem ersten Bilde habe ich gesagt: das genügt nicht, denn der Photographierte darauf ist ohne Hut. Ich habe nicht nach Doppelgängern gesucht; aber Pflicht der Staatsanwaltschaft wäre es gewesen, festzustellen, ob eine Verwechslung möglich sei. Ich erinnere nur an die Gehrkeschen Eheleute, die im Hoffmannschen Hause wohnten. Diese kannten Winter ganz genau und sagten mit vollster Bestimmtheit: „Wir haben am 11. März, abends acht Uhr, Winter in der Danziger Straße gesehen. Diese durchaus ehrenwerten Leute hätten geschworen, wenn ihnen nicht ein Landmesser vorgestellt worden wäre, den sie für Winter gehalten haben. Solche Verwechslungen sind doch nicht aus der Welt zu schaffen. Wenn zwei Photographien nebeneinander gehalten werden, kann man die Ähnlichkeit nicht finden. Trotzdem kann man Leute, deren Gesichtszüge und Größe verschieden und die betreffs Gangart und anderer äußerer Umstände voneinander abweichen, verwechseln. Ein hinreichend positiver Beweis, daß ein Verkehr nicht stattgefunden hat, ist doch der, daß die besten Freunde, die Hoffmanns, die Nachbarschaft, Professor Prätorius und Oberlehrer Dr. Stöwer, denen der Verkehr nicht entgehen konnte, einen solchen nicht wahrgenommen haben. Die Berliner Polizeibeamten haben die Wahrheitsliebe des Angeklagten festgestellt. Ich erinnere daran, was alles gegen die Familie Lewy behauptet worden ist. Übriggeblieben ist nur die gegenwärtige Anklage, weil sie schwer zu widerlegen ist. Ein berühmter Rechtslehrer, Professor Berner, sagt in
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/139&oldid=- (Version vom 21.2.2023)