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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

Beweis fehlt, so ersuche ich lediglich die Schuldfrage im Auge zu behalten. – Es ist gesagt worden: der Angeklagte wird auf alle Fälle verurteilt, weil er Jude ist. Das ist eine schwere Beleidigung gegen die christliche Bevölkerung. Mögen draußen die Parteileidenschaften toben, im preußischen Gerichtssaale findet sie keinerlei Stätte. Hier gibt es weder Juden, noch Christen, noch Mohammedaner, noch Heiden, sondern nur Angeklagte. Andererseits ist es unverständlich, daß gegen die Behörde der Vorwurf erhoben wurde, die Behörden hätten Furcht, einzuschreiten, weil die Juden dadurch bloßgestellt würden. Meine Herren! Ein preußischer Staatsanwalt kennt keine Furcht! Die Frage ist nicht, wessen Glaubens oder Standes ist jemand, sondern: ist seine Schuld nachgewiesen. Noch waltet in Preußen Gerechtigkeit; noch hat die Justitia die Binde vor den Augen. Wehe, wenn sie die Binde einmal lüftete, um zu sehen, welchen Glaubens oder Standes der Angeklagte ist, um danach das Urteil zu fällen! Wir haben alle mit hoher Genugtuung das zweihundertjährige Jubiläum des Königshauses gefeiert, das Preußen zu solchem Ruhm, Wohlstand und Macht gebracht hat. Das ist hauptsächlich erreicht worden, weil die Grundlage des preußischen Staates Gerechtigkeit ist. Noch ist diese Grundlage unerschüttert. Der erste preußische König hat den Schwarzen Adlerorden mit der Inschrift „Suum cuique“ begründet. Dieser Grundsatz muß Sie auch bei Abgabe Ihres Wahrspruches leiten. Jedem das Seine. Dem Unschuldigen die Freiheit, dem Verbrecher das Zuchthaus. Gehen Sie an die Beantwortung der Schuldfragen mit dem Mute und der Entschlossenheit, wie es deutschen Männern geziemt. Sie sollen den Angeklagten nicht verurteilen, weil er Jude ist. Das wäre auch gegen den Willen unseres Heilands; es wäre eine Verletzung der christlichen Religionsgrundsätze. Verurteilen Sie den Angeklagten, weil er sich vergangen hat an den Grundsätzen der christlichen Gesetzgebung, aber auch an den Vorschriften seiner eigenen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/136&oldid=- (Version vom 18.2.2023)