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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

überlassen wollte, legte sich ins Mittel und verhinderte das Duell. Den Bemühungen Stahls gelang es auch, eine Versöhnung zwischen Tarnowski und Borgewski herbeizuführen. Sie wurde mit einem Diner im Grand-Hotel gefeiert. Bei dieser Gelegenheit kam es aber zur Katastrophe. Tarnowski hatte erfahren, daß seine Frau mit dem Borgewski neuerlich Zusammenkünfte hatte. Den Bitten Stahls nachgebend, ging er zum Versöhnungsmahle mit dem Vorsatze, der Komödie ein tragisches Ende zu bereiten. Das Diner verlief ganz heiter und endete um 1 Uhr nachts. Borgewski half der Tarnowska beim Anziehen des Pelzes; ein Kellner ließ eine „Troika“ vorfahren. Borgewski geleitete die Tarnowska zum Wagen. Während er dies tat, bückte er sich, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Tarnowski, welcher ihnen folgte, erklärte, Borgewski habe seiner Frau einen Kuß gegeben; wie wahnsinnig zog er seinen Revolver und schoß den Borgewski durch den Kopf. Dann stellte er sich sofort der Polizei. Borgewski, schwer verwundet, wurde ins Hotel zurückgetragen. Die Tarnowska folgte ihm und blieb an seinem Bett. Als Borgewski wieder zu sich kam, flüsterte er ihr in französischer Sprache zu: „N’importe pas, je suis heureux, je t’aime.“ („Tut nichts, ich bin glücklich, ich liebe dich!“) – Sie aber erwiderte: „Ne me tutoyez pas, on peut vous entendre.“ („Duzen Sie mich nicht, man kann Sie hören!“) Erst am Morgen kehrte die Tarnowska nach Hause zurück. Als sie dort erfuhr, daß ihr Mann verhaftet worden war, brach sie in lautes Lachen aus und rief: „Nun gut, so werden sie ihn endlich nach Sibirien schicken.“ Borgewski erlag nach kurzer Zeit seiner Verwundung. Tarnowski wurde wegen Mordes angeklagt, vom Schwurgericht zu Kiew jedoch freigesprochen. Nach seiner Freilassung ließ er sich von seiner Frau scheiden. Allein derartige Vorgänge hatten auf die Gemütsbewegung der bezaubernd schönen Gräfin nicht den mindesten Einfluß. Obwohl sie ihrem geschiedenen Gatten einen Sohn und eine Tochter geboren

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/13&oldid=- (Version vom 20.12.2022)