Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
|
liegt. Die Angeklagte bemerkte hierauf, daß sie sich bis gegen 6 Uhr früh in Frankfurt a. d. Oder aufgehalten hätten und dann über Kottbus, Halle, Köln und Aachen nach Brüssel gefahren seien. Hier hätten sie sich zunächst nicht einlogiert, sondern seien die erste Nacht in den Straßen Brüssels herumgegangen. Am andern Tage erst habe ihr Mann in einem Hotel in der Nähe des Boulevard Wohnung genommen. Ende September seien sie dann nach Antwerpen und von dort mit einem Dampfschiff nach Rio de Janeiro gefahren. In Brüssel habe ihr Mann eine ihm nicht gehörende Uhr verkauft und in Antwerpen für das Geld eine neue erstanden. Die Wertpapiere habe er in Sao Paolo in Brasilien verkauft. – Vors.: Wo haben Sie denn nun die erste Nachricht von der Ermordung der Frau Schultze und ihrer Tochter erhalten? – Angekl.: In Brüssel. Mein Mann las es mir aus einer Zeitung vor. – Vors.: Hat er im Anschluß daran noch etwas zu Ihnen gesagt? – Angekl.: Nein. Er hat mir nur nachher in Brasilien gesagt, der Löwy und der Schulz (der Schulz hat ein Restaurant in dem Hause der Frau Schultze) werden es schon wissen, wer es gewesen ist. Er deutete dann an, daß die beiden die Frauen gemeinsam umgebracht und in den Keller geschafft hätten, wobei er Hilfe geleistet habe. – Vors.: Wissen Sie, daß die Raffalski ein Liebesverhältnis mit Ihrem Mann hatte? – Angekl.: Nein, wenn ich das gewußt hätte, würde ich sie nicht im Hause geduldet haben.
Hierauf wurde der Ehemann Gönczi zur Sache vernommen. Im unverfälschten ungarischen Dialekt bestritt er mit denkbar größter Zungenfertigkeit die gegen ihn erhobene Anklage und beschuldigte den im Hause Königgrätzerstraße 35 wohnenden Gastwirt Hinz sowie den Hausverwalter Habermann der Tat. Er habe die beiden Frauen erst 4 Wochen vor ihrem Tode kennen gelernt. Die alte Frau Schultze habe ihm sofort sehr großes Vertrauen entgegengebracht und ihm sogar die Schlüssel zu ihrer Wohnung überlassen. Es sei ihm bald aufgefallen, daß die Stieftochter Klara ein Verhältnis mit einem
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)