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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

grauen Vollbart und Haupthaar. Er erschien in schwarzem Anzug mit Gehrock und blickte ohne ein Zeichen der Erregung im Saale umher. Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte Gönczi: Er sei in Maros-Vasarhely (deutsch: Pflugstadt) in Siebenbürgen geboren, woselbst sein Vater Grundbesitz im Werte von 20 000 M. bewirtschaftet habe. Er habe bis zu seinem 14. Lebensjahre die deutsche und ungarische Schule in Hermannstadt und Klausenburg besucht und sei dann in die Lehre zu einem Schuhmacher gekommen. Im Jahre 1872 sei er Soldat geworden und in das 62. Infanterie-Regiment (Prinz Ludwig von Bayern) in Karlsburg eingetreten. Nach dreijähriger Dienstzeit sei er im Jahre 1875 wegen einer Differenz mit seinem Bezirks-Feldwebel desertiert, aber wieder ergriffen worden und deswegen, sowie weil er einige dem Fiskus gehörige Sachen mitgenommen hatte, zu 4 Jahren schweren Kerkers verurteilt worden, welche Strafe er auf der Festung Theresienstadt verbüßt habe. Im April 1884 sei er losgekommen und bei dem Hofschuhmacher Lürmitz in Budapest als Geselle eingetreten. Dann sei er noch bei dem Hofschuhmacher Ristel in Wien und bei den Hofschuhmachern Bayer und Weidinger in München tätig gewesen. Im Jahre 1891 habe er in Budapest seine Frau geheiratet, die er in München kennen gelernt hatte. Im Jahre 1892 trat er in das Müller & Schlitzwegsche Schuhwarengeschäft in Berlin ein, wo er 5 Jahre als Werkführer tätig gewesen sei. Im Mai 1897 habe er sich selbständig gemacht und im Hause Mühlenstraße 45 ein Wiener Schuhwaren-Geschäft eröffnet. Seine Frau habe 1500 M. in die Ehe gebracht.

Frau Gönczi bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Sie sei in Mindorf in Bayern geboren und katholischer Konfession. Bis zu ihrer Verheiratung war sie in München als Verkäuferin tätig. Sie wisse von der ganzen Sache nichts, sie wußte nicht einmal, daß ihr Mann in der Königgrätzer Straße, wo sich der Mord ereignete, eine Filiale besessen habe. – Vors.: Sind Sie beteiligt an dem Morde? – Angekl.: Nein.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/60&oldid=- (Version vom 1.8.2018)