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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

worden, wenn die Geschworenen einen Freispruch fällen, dann haben sie dem Schwurgericht das Todesurteil gesprochen. Diese Bemerkung kann und darf Sie nicht beeinflussen. Wenn Sie die gesamten Umstände in Betracht ziehen, dann werden Sie, davon bin ich überzeugt, zu einem Nichtschuldig kommen. –

Nach eingehender Rechtsbelehrung zogen sich die Geschworenen in später Nachtstunde zur Beratung zurück. Während der Plädoyers spielten sich vor dem Gerichtsgebäude die ärgsten Skandalszenen ab. Ein vieltausendköpfiges Publikum machte unter Johlen, Pfeifen und Schreien den Versuch, mit Gewalt in den Gerichtssaal, der ohnedies in geradezu beängstigender Weise überfüllt war, zu gelangen. Die zahlreichen Schutzleute und Gendarmen waren bemüht, mit blankgezogenem Säbel das Publikum zurückzudrängen, sie waren aber diesem Ansturm gegenüber machtlos. Sehr bald kamen zwei Kompagnien Infanterie angerückt. Auch das Militär wurde mit Pfeifen, Schreien, Johlen und Steinwürfen empfangen. Der befehligende Hauptmann, der selbst einen Steinwurf erhalten hatte, ließ die Aufruhrparagraphen vorlesen und befahl darauf, die Straße mit aufgepflanztem Bajonett zu säubern. – Nach etwa einstündiger Beratung bejahten die Geschworenen die Schuldfrage wegen Mordes. Der Gerichtshof verurteilte, dem Wahrspruch der Geschworenen entsprechend, den Angeklagten zum Tode, dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und zur Tragung der Kosten des Verfahrens. Während der Beratung des Gerichtshofs unterhielt sich der Angeklagte lächelnd mit seinem Verteidiger. Der Angeklagte nahm das Urteil mit staunenswertem Gleichmut entgegen. Er verabschiedete sich durch Händedruck von seinem Verteidiger und ließ sich alsdann ruhig abführen. – Als das auf der Straße stehende Publikum das Urteil erfuhr, machte es von neuem den Versuch, das Gerichtsgebäude zu stürmen. Als ich in später Nachtstunde aus dem Gerichtsgebäude trat, wurde ich von allen Seiten mit der

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)