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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

ist es schon einmal vorgekommen, daß ein Mensch die Frechheit hat, einem Gerichtshof zuzutrauen, so etwas zu glauben. Der Angeklagte empfindet das Bedürfnis, seine Schwägerin Olga noch einmal zu sehen und zu sprechen. Dann sollte man annehmen, der Angeklagte würde so schnell als möglich nach Baden-Baden reisen. Er reiste aber zunächst nach Frankfurt a. M. Dort blieb er mehrere Tage, besuchte Verwandte und fragte den Portier des Hotels „Englischer Hof“, ob er ihm schöne Weiber nachweisen könne. Das tut ein Mann, der in höchster Leidenschaft für ein hochachtbares Mädchen schwärmt. Ein solcher Mann tritt, nachdem der Schuß gefallen ist, ohne seine Schwägerin gesprochen zu haben, mit größter Eile die Rückreise nach London an und wirft Bart und Perücke in den Kanal. So handelt nicht ein schwärmerischer Liebhaber, so handelt nur ein Mörder. Niemand anders als der Angeklagte hat den Mord begangen. Lediglich der Angeklagte kann in Betracht kommen. Der Staatsanwalt führte diesen Gedanken noch weiter aus und schloß: Sorgen Sie dafür, meine Herren Geschworenen, daß die furchtbare Mordtat nicht ungesühnt bleibt. Ich gebe mich der festen Hoffnung hin, daß Sie die Schuldfrage in vollem Umfange bejahen werden.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Dietz:

Meine Herren Geschworenen! Ich verkenne nicht den Ernst der Sachlage. Auch ich halte es für wünschenswert, ein solch furchtbares Verbrechen zu sühnen. Allein dies Verbrechen wird zu meinem großen Bedauern ungesühnt bleiben, und zwar einfach deshalb, weil der Täter nicht festgestellt ist. Frl. Olga Molitor hat die Überzeugung geäußert, daß der Mann, der hinter ihnen herging, der Mörder war. Dieser Mann war jedoch nach der Überzeugung der Frau v. Reitzenstein nicht der Angeklagte, sondern ein ganz anderer. Man hat aber zufällig den Angeklagten gegriffen, weil dieser sich vermummt hatte, und zwar in einer Weise, daß alle, die ihn sahen, über ihn lachten. So wie der Angeklagte handelt aber

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)