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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

sondern nur Schritte hinter sich gehört. – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Ich frage Sie nun, so leid mir das tut, hatten Sie irgendeine Ursache, Ihre Frau Mutter zu beseitigen? – Zeugin: Nicht im entferntesten. – Vors.: Hatte jemand von Ihrem Hauspersonal oder sonst jemand eine Ursache, Ihre Frau Mutter zu beseitigen oder sonst an ihr Rache zu nehmen? – Zeugin: Das halte ich für ausgeschlossen.

Die Schießsachverständigen gaben die Erklärung ab, daß der Schuß aus nächster Nähe abgegeben sein müsse. – Hierauf wurde die Beweisaufnahme für geschlossen erklärt und die den Geschworenen vorzulegende Schuldfrage, die auf vorsätzliche mit Überlegung begangene Tötung lautete, verlesen. Staatsanwalt Dr. Bleicher, der hierauf das Wort zur Schuldfrage nahm, führte aus:

Meine Herren Geschworenen! Wenn wir die Mordtat, die uns 5 Tage lang beschäftigt hat, in einem Zolaschen oder Tolstoischen Roman gelesen hätten, dann würden wir gesagt haben: Das ist furchtbar, aber es ist glücklicherweise nur ein Roman. Es ist ja eine bekannte Sache, die furchtbarsten Dinge spielen sich nicht auf der Bühne, sondern im Leben ab. Genußsucht und Geldgier haben leider schon so manches Verbrechen gezeitigt. Auch im vorliegenden Falle war Genußsucht und Geldgier die Triebfeder und hat ein furchtbares Unglück über zwei hochachtbare Familien gebracht. Die 62 Jahre alte Medizinalrätin Molitor fiel, von der Schußwaffe getroffen, nachdem sie von dem Mörder in tückischster Weise in den Hinterhalt gelockt war. Die Erregung, die über diese furchtbare Tat sich der ganzen Kulturwelt bemächtigte, hatte sich noch nicht gelegt, da kam aus der Schweiz die erschütternde Nachricht, in den Wellen des Pfäffikoner Sees habe sich die Frau des Angeklagten ertränkt, weil sie die Überzeugung erlangt hatte, daß ihr Mann der Mörder ihrer Mutter war. Sie hatte erklärt, sie könne das furchtbare Unglück nicht überleben. Der Angeklagte hatte schon einmal auf ein Mitglied der Familie Molitor, auf seine spätere Frau, geschossen. Es war

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)