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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Anzahl Leute stehen sehen. Diener Frank, der ihm begegnete, sagte ihm auf seine Frage: was da los sei: Es sei soeben eine alte Dame aus der Villa Molitor erschossen worden. Um nun schneller an die Mordstätte zu kommen, habe er einen Staketenzaun überstiegen und sich dadurch seine Hosen zerrissen. Er habe sich sehr bald von der Mordstätte entfernt und sei in die Villa gegangen, weil er sich wegen seiner zerrissenen Hosen geschämt habe. – Vors.: Welche Kündigungsfrist war ausgemacht? – Zeuge: Gar keine. – Vors.: Wann gingen Sie ab? – Zeuge: Einige Wochen nach dem Morde, als der Haushalt der Familie Molitor aufgelöst wurde. – Vors.: Haben Sie noch einen Anspruch an die Familie Molitor? – Zeuge: Nein, ich bekam meinen Lohn bis 1. Januar 1907 ausgezahlt und noch 10 M. Weihnachtsgeschenk. – Vors.: Wie verhielt sich der Angeklagte Ihnen gegenüber? – Zeuge: Sehr reserviert. – Vors.: Wissen Sie irgend etwas über den Mord oder den Täter zu sagen? – Zeuge: Nein, es wurde einmal gesagt: „Der Diener sei verhaftet“. Als ich mich aber den Leuten vorstellte, schämten sie sich und liefen davon. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) – Vors.: Hatten Sie irgendeinen Haß gegen Frau Molitor? – Zeuge: In keiner Weise. Frau Molitor war ja bisweilen etwas heftig, aber wieder sehr gut. – Vors.: Wie kam es, daß Ihre Vorladung zu dieser Verhandlung als unbestellbar zurückkam? – Zeuge: Ich habe in Potsdam meine genaue Adresse angegeben. Als ich gestern in den Zeitungsberichten las, daß mein Aufenthalt nicht zu ermitteln sei, habe ich meinen Dienstherrn - ich befinde mich auf dem Rittergut Warenbeck bei Kiel in Stellung - gebeten, dem Herrn Staatsanwalt meinen Aufenthalt telegraphisch anzuzeigen. Der Gerichtshof beschloß, den Zeugen zu vereiden. – Freifrau v. Reitzenstein bekundete als Zeugin: Am 6. November 1906 sei sie gegen 5 Uhr 50 Min. nachmittags von ihrer Villa zur Villa Nagel gegangen, um einen Brief in den Briefkasten zu werfen. Als sie auf dem Rückwege fast bis zu ihrer Villa gelangt war, sei sie Frau Molitor mit ihrer

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)