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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

sagen Sie dazu? – Zeugin: Ich hatte bisher keine Ahnung von alledem. – Vors.: Halten Sie es für möglich, daß der Angeklagte von London nach Baden-Baden gekommen ist, lediglich um noch einmal Sie zu sehen und zu sprechen? – Zeugin: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. – Vors.: Hätten Sie denn den Angeklagten, wenn er sich Ihnen mit einem falschen Bart genähert hätte, erkannt? – Zeugin: Es ist möglich. – Vors.: Wenn der Angeklagte sich Ihnen offenbart hätte, was würden Sie dazu gesagt haben? – Zeugin: Ich hätte ihm gesagt, er solle zu seiner Frau zurückgehen. – Staatsanwalt und Verteidiger erklärten hierauf, auf jede weitere Zeugenvernehmung zu verzichten. – Geh. Hofrat Prof. Dr. Hoche-Freiburg: Der Angeklagte war ein frühreifer Jüngling, der sehr verschlossen war. Er habe, als er fast noch im Knabenalter war, ein sehr ausschweifendes Leben geführt und sich dadurch eine böse Krankheit zugezogen. Er habe später an Kopfschmerz und Schlaflosigkeit gelitten. Andererseits habe er ein ausgezeichnetes Gedächtnis. In der Verhandlung habe er eine staunenswerte Ruhe und Schlagfertigkeit an den Tag gelegt. Dem Angeklagten wäre es vermöge seiner großen Intelligenz und Energie ein leichtes gewesen, etwa vorhandene geistige Abnormitäten zu überwinden. Er könne sein Gutachten dahin zusammenfassen: Der Angeklagte habe sich am 6. November 1906 nicht in einem Zustande der Bewußtlosigkeit oder Geistesstörung befunden, wodurch seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. – Prof. Dr. Aschaffenburg-Köln: Der Angeklagte habe ihm erklärt, er habe die Tat nicht begangen, es sei ihm nicht einmal bekannt gewesen, daß seine Schwiegermutter tot sei. Er habe kein pathologisches Moment an dem Angeklagten wahrgenommen, dagegen sei der Angeklagte ein durch und durch psychopathischer Mensch. Er komme ebenfalls zu dem Schluß: Der Angeklagte habe sich am 6. November 1906 nicht in einem Zustande der Bewußtlosigkeit oder Geistesstörung befunden, die seine freie Willensbestimmung ausschloß.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)