Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/4

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

wie sie in der Verbrecherlaufbahn des Mörders Kneißl eine nicht minder verhängnisvolle Rolle gespielt hat, als in der des Hauptmanns von Köpenick unerfreulichen Angedenkens.

Die hier zusammengestellten Fälle bieten eine Reihe wechselvoller Bilder aus der Kriminalität unserer Tage, von denen fast jedes einzelne ein weit über die Augenblickssensation der cause célèbre hinausreichendes Interesse beansprucht. Der Fall Kneißl zeigt uns, daß die mittelalterliche Rinaldoromantik des freien Räuberlebens, wenn auch in modernisierter Form, auch heute noch fortbesteht, während uns die Fälle Hau und Brunke in den Personen ihrer Täter, – jeder von ihnen in seiner Art gleich widerwärtig, – einen ausschließlich der Gegenwart angehörigen Verbrechertypus in charakteristischer Ausprägung vor Augen stellen. Ich möchte in dieser Beziehung dem Fall Brunke eine besonders weittragende Bedeutung beimessen. Der jugendliche Verbrecher, der uns hier gezeichnet wird, vertritt in seinem kindischen Bildungsgrößenwahn und seiner grenzenlosen sittlichen Verlotterung, wie in seiner frühzeitigen geschlechtlichen Abgelebtheit und dem frivolen Spielen mit fremdem und eigenem Leben eine Klasse moderner Überknaben, die sich weniger von des Gedankens als von des Lasters Blässe angekränkelt, Schopenhauers und Nietzsches echteste Jünger dünken, wenn sie die Begriffe Pflicht und Sitte als albernes Vorurteil von sich gestreift haben. Wenn die Gerichtsberichterstattung ihre Aufgabe dahin faßt, uns solche treu nach dem Leben gezeichnete Gestalten aus dem Verbrechertum unserer Tage vorzuführen, so wird sie zu einer nützlichen Gehilfin jener von allen Einsichtigen geforderten sittlich sozialen Hygiene erstarken, die uns nicht weniger not tut, als ihre längst in Ehren stehende ältere Schwester: die physische.

Zu den ganz modernen Fällen müssen wir auch den Fall Koschemann rechnen, der uns mit dem Dynamitattentat, um das es sich handelt, auf das Gebiet anarchistischer Mordgreuel

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite IV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)