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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Rechtsanwalt Fuchs fordere mit Recht Gerechtigkeit. Um so mehr müsse er sich wundern, daß er ihm diese Gerechtigkeit nicht widerfahren lasse. Er habe absolut nicht daran gedacht, einen ganzen Stand, den Rechtsanwaltsstand, anzugreifen. Er habe die größte Hochachtung vor dem Rechtsanwaltsstande; er habe keinen Namen genannt, sich der größten Zurückhaltung befleißigt und nur mit Tatsachen gerechnet. Er habe nur gesagt, die Handlungen, die hier vorgenommen werden, schädigen die Stellung der Staatsanwaltschaft. Ganz ungeheuerlich sei die Behauptung des Rechtsanwalts Fuchs, daß die Fälle zu zählen seien, in denen die Staatsanwaltschaft zur Entlastung der Angeklagten die Hand reiche. Die Staatsanwaltschaft sei die objektivste Behörde bis zur Erhebung der Anklage und prüfe das Für und Wider sehr sorgsam. Dann strecke sie die Waffen und überlasse das weitere dem Gericht. Rechtsanwalt Dr. Fuchs kenne eben die Akten der Staatsanwaltschaft nicht, sonst würde er wissen, daß in dem überwiegenden Teile der Fälle das Verfahren eingestellt werde, weil die Staatsanwaltschaft den Belastungen skeptisch gegenüberstehe. Vor den Ausführungen des Herrn Justizrats Wronker müsse er den Hut ziehen. Dieser habe ihn derartig überzeugt, daß er seinen Ausführungen beitrete und nun selbst die Freisprechung der Angeklagten Scheding beantrage.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Fuchs I wendete sich zunächst gegen die vom Oberstaatsanwalt geäußerte Anschauung, daß die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde sei. Wenn Staatsanwalt Braut sage, man müsse dem Angeklagten die mildernden Umstände schon aus Prinzip versagen, um dem Laster und der Prostitution entgegenzuwirken, so erwidere er: Die Prostitution sei so alt wie die Welt, und wenn sie – was er bestreiten möchte – heute größer sein sollte als früher, so sei dies nicht Schuld eines einzelnen Mannes, sondern Schuld gewisser sozialer Schäden, durch welche täglich ganze Scharen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/317&oldid=- (Version vom 31.7.2018)