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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

mit großer Offenheit und Ehrlichkeit alles, was wir aus den Vernehmungen vor dem Untersuchungsrichter erfahren haben, hier vorgeführt. Die Verteidiger sind nicht im Dunklen geblieben. Es ist ein geschlossener Brief, den die Zeugin Miller nur für Sternberg bestimmt hatte, hierher gelangt. Nun weiß jeder, der mit dem Strafverfahren zu tun hat, und insbesondere ein Rechtsanwalt und Verteidiger, daß ein verschlossener Brief an einen Untersuchungsgefangenen nur unter Zustimmung und Kenntnisnahme eines Richters an seine Adresse gelangen darf. Die Kollusionsgefahr erfordert eine solche Kontrolle der Behörde. Es war überaus wichtig, daß der Vorsitzende der Strafkammer von dem Briefe Kenntnis erhielt, ehe er in Sternbergs Hände gelangte. Der Vorsitzende hat aber nichts von dem Inhalte gewußt, wohl aber Sternberg! Ob er einen so harmlosen Inhalt gehabt hat, wie Herr August Sternberg behauptet, können wir nicht nachweisen, aber daß wir es nicht können, ist die ungünstige Lage, in die wir gebracht worden sind, nicht kraft des Gesetzes, sondern kraft der von Ihnen geschaffenen Tatsachen! Wir müssen uns damit abfinden und werden auch so das Recht finden. Aber das können Sie uns nicht zumuten, daß wir glauben sollen, der Brief habe einen harmlosen Inhalt gehabt. Wenn Margarete Fischer ihrer eidesstattlichen Versicherung nach einen intimen Brief an Herrn August Sternberg beilegt, so wird sie sicher darin die ihr zukommende Belohnung besprochen und angedeutet haben, daß sie auf seine Dankbarkeit für das ganze Leben rechnet.

Mein Herr Kollege hat angedeutet, wie viele Personen Herr August Sternberg in diesem Prozesse zu Leichen gemacht hat. Dazu gehört auch die Zeugin Frau Miller. Ausgestoßen von ihrem Vaterlande muß sie flüchtig umherirren und darf es nicht mehr wagen, die heimatliche Scholle zu betreten. Das ist der Fluch, der sie immer begleiten wird. Und doch wäre es ihr wohl nicht schwer gewesen, sich durch ein offenes Geständnis mildernde Umstände

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/311&oldid=- (Version vom 1.8.2018)