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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Der Vorsitzende verlas einen bei der Frau Lina Hau gefundenen Brief, in dem sie die Schweizer Polizei ersuchte, sie am Fundort ohne Geistlichen beerdigen zu lassen. „Mein Testament befindet sich in einer Schublade in der Villa Molitor zu Baden-Baden. Der Grund meines Selbstmordes ist leicht zu erraten. Mein Mann, den ich über alles liebte, wird der Ermordung meiner Mutter beschuldigt. Ich kann diesen Zustand nicht länger ertragen.“ – Der Zeuge Oberleutnant Molitor bemerkte im weiteren auf Befragen des Staatsanwalts: Nachdem er seiner Schwester Lina die Sachlage klar gemacht hatte, begann sie zu weinen. Sehr bald darauf sagte sie: Sie habe sich nunmehr von der Schuld ihres Mannes überzeugt, sie habe dies auch dem Verteidiger ihres Mannes in London mitgeteilt. (Der Angeklagte wurde bekanntlich in London verhaftet und erst nach diplomatischen Unterhandlungen ausgeliefert.) Oberleutnant Molitor bekundete ferner: Seine Schwester sei nachher noch mehrfach schwankend gewesen. Sie sagte einmal: „So lange noch ein Atom vorhanden ist, das gegen die Schuld meines Mannes spricht, werde ich meinen Mann verteidigen. Wenn ich mich aber von der Schuld meines Mannes überzeugen sollte, dann ist es mit meinem Leben zu Ende.“ – Vors.: Nun, Angeklagter, was haben Sie hierzu zu sagen? – Hau: Auf die ganze Aussage? Nichts. – Der Gerichtshof beschloß, den Zeugen zu vereidigen. – Der Vorsitzende verlas noch einen von Lina Hau an den Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Dietz, gerichteten Brief, der etwa folgendermaßen lautete: „Geehrter Herr Doktor! Der Besuch bei Hau im Gefängnis war vollständig unbefriedigt. Wir waren beide nahe an hysterischen Anfällen. Ich kann nicht mehr weiter leben. Ich kann die Verhandlung nicht überleben. Ich habe meinem Manne Vorstellungen gemacht, aber dabei die Menschlichkeit nicht außer acht gelassen. Ich will hoffen, daß dieser Brief keine üble Nachfolge haben wird. Dringen Sie in ihn.“ – Der Angeklagte bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Seine Frau habe ihm in Gegenwart des Gefängnisinspektors

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)