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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Betracht kommt, ob er sehr viele unzüchtige Handlungen vorgenommen hat, so würde wohl der Angeklagte Sternberg der letzte sein, dem man glauben darf. Das ärztliche Gutachten spricht auch nur von Fehlern der Auffassung der Dinge und der Wiedergabe des Erlebten. Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, daß ein Kind ohne jede Grundlage, ohne es selbst gesehen zu haben, und selbst wenn es das gesehen hat, imstande sein soll, aus eigener Einbildung heraus eine Geschichte zu erfinden und Monate hindurch konsequent ohne wesentliche Abweichung festzuhalten, ohne daß die Sache irgendwie mit der Wahrheit übereinstimmt. Diese meine Annahme, daß die Einbildung nicht so ist und nicht so sein kann, wird bestärkt durch die Erwägung, wie die Sache an das Tageslicht gekommen ist. Von derartigen Einbildungen könnte man ja reden, wenn es sich um Klatsch und Tratsch handelte, bei dessen Weiterverbreitung jeder immer noch ein bißchen hinzusetzt. Von derartigen Dingen ist aber hier doch gar keine Rede. Frida Woyda hat über ihre Erlebnisse mit keinem Menschen gesprochen. Dann ist sie eines Tages von einem Schutzmann abgeholt worden, und nun sollten plötzlich die paar schmutzigen Bilder, die sie bei der Fischer gesehen hat, auf die Phantasie des Kindes so eingewirkt haben, daß sie sich eine solche Geschichte vollkommen ausdenken konnte? Selbst wenn man den Sachverständigen die theoretische Möglichkeit zugeben wollte, so trifft es doch hier in dem konkreten Fall nicht zu.

Weshalb hat Frida Woyda so lange geschwiegen? Sie sagt: aus Scham. Das dürfte nicht zutreffen. Der Frida hat die Sache bei der Fischer offenbar Spaß gemacht, sie wollte deshalb auch ganz gerne bei der Fischer bleiben, und sie hat keinen Grund gehabt, ihre eigenen Sünden einem anderen zu beichten. Gewalt ist bei ihr nicht angewendet worden, das gebe ich ohne weiteres zu, das steht ja auch ganz deutlich in dem Briefe, den Margarete Fischer an die Zeugin Pfeffer gerichtet hat. Ist es nach alledem ausgeschlossen, daß Frida

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/302&oldid=- (Version vom 31.7.2018)