Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
|
scheine auf den Gerichtshof einen besonders günstigen Eindruck gemacht zu haben, daß Stierstädter seine sittlichen Verfehlungen ohne Zwang ganz frei dem Gerichtshofe mitgeteilt habe. Dies sei aber durchaus nicht freiwillig gewesen, denn der Zeuge habe nach seiner eigenen Angabe „schon geahnt“, daß seitens der Verteidigung diese sittlichen Verfehlungen zur Sprache gebracht werden. Ferner fragte Justizrat Dr. Sello den Zeugen Stierstädter: Haben Sie einmal geäußert: Wenn ich purzele dann purzeln noch zehn andere; ich werde mit einer Sache vorkommen, wegen deren sich der Justizrat Sello eine Kugel durch den Kopf schießen wird? – Stierstädter: Ich habe nur die Äußerung Thiels von dem Totschießen im Auge gehabt und vielleicht geäußert: die Sache wird Herrn Justizrat Dr. Sello als Verteidiger „schmeißen“. – Justizrat Dr. Sello wünschte von dem Zeugen Auskunft darüber, ob er an einer offenbaren „Falle“ beteiligt gewesen sei, die ihm (Dr. Sello) eines Tages gestellt werden solle. Es habe sich ein angeblicher Kriminalschutzmann Müller brieflich an ihn gewendet und versprochen, belastende Tatsachen gegen Stierstädter vorzubringen, es drohe aber dem Briefschreiber die Exmission und deshalb könne er nur mit der Sprache herausrücken, wenn er 500 M. erhalte. Man wollte ihn (Sello) damit offenbar in eine Falle locken. – Stierstädter erklärte, nichts hiervon zu wissen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Werthauer fragte, ob die Äußerung des Zeugen bezüglich des „Purzelns“ nicht dahin gegangen sei: Wenn ich purzele, dann purzeln noch einige Vorgesetzte mit, die Sternberg möglichst schonen wollen. – Stierstädter: Mir ist von Kollegen zu verstehen gegeben worden, daß ich Sternberg etwas schonen möchte. – Vors.: Welche Kollegen waren das? – Zeuge: Mein Kollege Rohrbach, der Ordonnanz des Direktors v. Meerscheidt-Hüllessem war, hat mir einmal vorgehalten, ich solle an meine Familie denken, vernünftig sein usw. – Vors.: Erzählen Sie das doch etwas näher. – Zeuge: Mein Kollege Rohrbach hat einmal in einem Gespräch, welches er in einem Bierlokal
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/254&oldid=- (Version vom 1.8.2018)