Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/234

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Meine Herren Geschworenen! Gegen meinen Schutzbefohlenen, den Angeklagten Rieger, ist die schwere Anklage wegen Beihilfe zum Morde in zwei Fällen erhoben worden. Ehe Sie Ihren Wahrspruch auf Schuldig abgeben, ist es Ihre Pflicht, genau zu prüfen, ob dem Angeklagten die Schuld zweifellos bewiesen ist. Allein ein solcher Beweis ist in der langen Verhandlung nicht geführt worden. Es ist eine Anzahl Verdachtsmomente aufgeführt worden, die jedoch bei näherer Prüfung sich als vollständig haltlos erweisen. Der Verteidiger ging hierauf auf die Zeugenaussagen ein und suchte den Nachweis zu führen, daß dem Rieger es voller Ernst war, Kneißl durch die Gendarmen festnehmen zu lassen. Der Herr Staatsanwalt selbst sagte, so etwa fuhr der Verteidiger fort: „Kneißl ist ein vollständig lügenhafter Bursche, der alles ableugnet und nicht eher etwas zugesteht, bis ihm das Messer an der Kehle sitzt.“ Aber als es galt, Rieger zu belasten, da wurde Kneißl als glaubhaft bezeichnet. Es ist aber nicht angänglich, einen Menschen einmal für lügenhaft und das andere Mal als glaubwürdig zu halten. Es ist nachgewiesen, daß Rieger mit Kneißl seit 1892 nicht mehr zusammengekommen ist. Nun frage ich, wodurch sollte Rieger wissen, Kneißl habe sich vorgenommen, jeden Gendarm zu erschießen? Der einfache Bauernbursche, Zeuge Stumpferl, gab die Lösung auf die Frage, weshalb Rieger nicht sofort die Haustüre öffnen wollte, als die Gendarmen erschienen. Er sagte, als er hierüber befragt wurde: Das hat Rieger getan, damit Kneißl nicht merkte, daß er ihn verraten habe. Rieger ist schon mehrfach vorbestraft, er mußte aber Kneißl aufnehmen, weil er sich vor seiner Rache fürchtete; er mußte auch sofort die Gendarmerie benachrichtigen lassen, weil er andernfalls zu befürchten hatte, wegen Begünstigung verhaftet zu werden. Rieger, ein schwerfälliger, alter Mann, sollte den bewaffneten Kneißl, einen Menschen in voller Jugendkraft, festnehmen. Wenn das so leicht gewesen wäre, dann wäre dies den sechs Bauernburschen und den zwei Gendarmen gelungen, dann wäre es nicht nötig gewesen,

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/234&oldid=- (Version vom 1.8.2018)