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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

hysterische Frauenzimmer, sondern ernsthafte Männer zu urteilen. Daß der Mord nicht geplant war, ist unwiderleglich durch das Zeugnis der Zeugin Danner erwiesen worden. Dieser hat Kneißl erzählt: Er habe, als die Gendarmen klopften‚ zu Rieger gesagt: Michel‚ wenn du mich verraten hast, dann schieße ich dich sofort mausetot.

Meine Herren! Sie werden bei Ihrem Urteilsspruch auch in Erwägung ziehen müssen, daß dem Angeklagten von Jugend auf angehaftet hat die Schande und der Fluch seiner Familie. Er ist ohne Erziehung aufgewachsen, er hat ein Familienleben nie kennen gelernt und bedauerlich ist es, daß gerade der Pfarrer ihn in der Schule die Schande seiner Familie hat fühlen lassen. Der Angeklagte hat sich, als er im Februar 1899 aus dem Gefängnis kam, redlich um Arbeit bemüht. Er hat aber leider durch ein begreifliches Vorurteil keine Arbeit gefunden und ist durch Schuld eines Stationskommandanten um seine Arbeit bei Christoph gekommen. Der Angeklagte ist durch Hunger und Not getrieben, auf die Räuberlaufbahn gedrängt worden. Er hat mit vielen Entbehrungen kämpfen müssen. Die Sonne des Glückes hat ihm niemals geschienen. Aber trotzdem hat er sich noch immer einen menschlichen Zug bewahrt. Er hat den Holzleitner abgehalten, dem Hütejungen die Sachen zu nehmen und aus den Briefen, die der Angeklagte aus dem Gefängnis an seine Mutter geschrieben hat‚ geht hervor, daß er ein guter Sohn war. Ein berühmter Dichter sagt: „Wie der Mensch zu seiner Mutter ist, so ist er.“ Der Angeklagte schreibt sogar in einem Briefe: „Laß doch den Alois ein Handwerk lernen‚ damit er sich einmal auf anständige Art ernähren kann.“ Ich habe die Überzeugung, Sie werden den Angeklagten nicht dem Schafott überliefern. Daß der Angeklagte die Gendarmen mit Vorsatz und Überlegung erschossen hat, können Sie nicht annehmen. Ich bitte Sie, zum mindesten die Frage der Überlegung zu verneinen.

Verteidiger Rechtsanwalt Prechtl (Augsburg) (für Rieger):

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)