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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

und königstreu bis auf die Knochen. Solche Leute lehnen sich aber nicht gegen die Organe der Obrigkeit auf. Auch Rieger hat wie ein braver Mann gehandelt. Es war ihm ernst damit, den Kneißl den Gendarmen zu überliefern; dies wäre auch gelungen, wenn die Gendarmen etwas vorsichtiger gewesen wären. Und zum Dank für seine brave Tat wurde er wegen Verdachts der Anstiftung oder der Beihilfe zum Morde verhaftet. Dies dürfte wohl die Hauptschuld gewesen sein, daß es Kneißl möglich war, sich so lange Zeit der Verhaftung zu entziehen: die Landbevölkerung befand sich in einer furchtbaren Zwickmühle. Auf der einen Seite die Furcht vor Kneißl, auf der anderen die Gefahr, wenn sie den Kneißl den Gendarmen in die Hände spielen würde, wegen Anstiftung verhaftet zu werden. Herr Journalist Fischer hat bekundet: Er habe sich selbst überzeugt, daß die Riegerschen Eheleute nach jenem Vorgange alles verrammelt hatten, weil sie die Rache des Kneißl fürchteten. Der Herr Staatsanwalt sagt: Kneißl brauchte nicht erst bestimmt zu werden, die Gendarmen zu erschießen, er hatte diesen Entschluß längst gefaßt. Aber es ist doch nachgewiesen worden, daß der Angeklagte nach unten geschossen hat. Hätte der Angeklagte die Gendarmen erschießen wollen, dann würde er sie in die Brust geschossen haben, denn daß ein Schuß ins Bein den Tod eines Menschen zur Folge hat, ist doch nur ein unglücklicher Zufall. Die Drohungen des Angeklagten sind doch nur Renommistereien. Der Angeklagte wollte eben der zweite bayerische Hiesel sein, von ihm sollte man ein noch viel dickeres Buch schreiben als von dem bayerischen Hiesel. Aber der Angeklagte war kein Held, sondern nur ein Maulheld. Als Held galt er nur deshalb, weil er sich so lange seiner Verhaftung zu entziehen wußte und das ganz besonders bei einigen verrückten Frauenzimmern‚ die den Anspruch erheben, „Damen“ genannt zu werden. Diese hatten ihm ins Gefängnis die schwärmerischsten Liebesbriefe geschrieben. Aber glücklicherweise haben über den Angeklagten nicht

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/232&oldid=- (Version vom 31.7.2018)