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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Paris gekommen. Mama sagte, sie werde am folgenden Tage kommen, da sie sehr erkältet sei. Es wurde ihr aber erwidert, die Sache sei so dringend, daß sie sofort selbst zum Postamt kommen müsse. Mama zog sich infolgedessen sofort an, sie wollte zunächst allein zum Postamt gehen; ich erbot mich jedoch sogleich, sie zu begleiten. Als wir aus der Bismarckstraße kamen, sah ich eine Männergestalt, die uns auf Schritt und Tritt nachkam. Dies kam mir unheimlich vor. Plötzlich in der Nähe der Lindenstaffel krachte ein Schuß. Mama war getroffen, sie fiel sofort lautlos tot zu Boden. (Die Zeugin schluchzte bei diesen Worten heftig.) Nach dem Schuß sah ich einen Mann mit langem Mantel nach dem Bahnhof zu laufen. – Vors.: Haben Sie den Mann genau gesehen? – Zeugin: Nein. – Vors.: Ich bin genötigt, Ihnen die Frage vorzulegen, hatten Sie irgendwelche nähere Beziehungen zu dem Angeklagten? – Zeugin: Niemals. – Vors.: Hat der Angeklagte Ihnen einmal die Kur gemacht? – Zeugin: Nein. – Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß der Angeklagte bezüglich Ihrer Person einmal irgendwelche Absichten hatte? – Zeugin: Ich habe niemals derartiges wahrgenommen. – Vors.: Halten Sie es für möglich, daß der Schuß aus irgendeiner Ursache Ihnen gegolten hat, und daß irrtümlicherweise Ihre Frau Mutter getroffen wurde? – Zeugin: Das halte ich für ausgeschlossen. – Vors.: Es soll einmal zwischen Ihrer verstorbenen Schwester Lina und dem Angeklagten zu einer heftigen Eifersuchtsszene gekommen sein? – Zeugin: Das ist möglich; meine verstorbene Schwester war sehr eifersüchtig. – Vors.: Die Eifersuchtsszene soll Ihretwegen entstanden sein? – Zeugin: Das ist möglich, ich hatte aber niemals das Gefühl, daß der Angeklagte sich mir auch nur nähern wollte. – Vors.: Dann erübrigt sich wohl auch die Frage, ob Sie dem Angeklagten ein Telegramm nach Dover gesandt haben? – Zeugin: Ich habe dem Angeklagten niemals ein Telegramm gesandt. – Auf weiteres Befragen bemerkte die Zeugin: Sie könne sich nicht enträtseln, wer das Telegramm in Paris an

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)