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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

würde er die Haustür nicht so fest verschlossen und auch nicht so lange mit der Öffnung gezögert haben, bis es dem Kneißl gelungen war, einen sicheren Versteck zu finden, von dem aus es ihm am besten möglich war, die Gendarmen zu erschießen. Kneißl konnte ohne Rieger diesen Versteck nicht finden. Es kommt hinzu, daß Rieger auf die Gendarmen und speziell auf Brandmeier einen großen Haß hatte und ferner, daß, wenn Kneißl gewußt hätte, Rieger habe ihn den Gendarmen verraten wollen, er auch ohne weiteres den Rieger

erschossen hätte. Entweder hätte Kneißl den Rieger, wenn er ihn verraten hätte, erschossen, oder das Haus Riegers wäre durch die Hand Kneißls in Flammen aufgegangen. Endlich ist das Geständnis des Kneißl nach seiner Verhaftung in Erwägung zu ziehen, das er nicht einmal, sondern mehrfach abgegeben hat. Kneißl fühlte sein nahes Ende. Deshalb sagte er die Wahrheit. Als er wieder genas, sagte er sich: dies Geständnis muß ich widerrufen. Wenn ich zugebe, der ganze Vorgang in Irchenbrunn war abgekartet, dann kostet es den Kopf. Kneißl widerruft sein Geständnis, nicht um einen anderen, sondern um sich zu entlasten. Der Herr Verteidiger des Kneißl sagte: Die Gendarmen haben unvorsichtig gehandelt, daß sie so ungestüm ins Haus drängten. Ich habe die Überzeugung, dieser Vorwurf wird die Grabesruhe der Gendarmen nicht stören. Wenn die Gendarmen nicht so ungestüm ins Haus gedrungen wären, dann würde das Ergebnis zweifellos dasselbe gewesen sein. Es ist die Frage aufgeworfen worden, weshalb Rieger nicht der Anstiftung[WS 1] zum Morde angeklagt ist. Bekanntlich wird der Anstifter gleich dem Täter bestraft. Ich habe aber die Anklage gegen Rieger nur wegen Beihilfe erhoben, weil ich der Überzeugung bin, ein Kneißl bedarf keiner Anstiftung, wenn es sich darum handelt, Gendarmen niederzuschießen. Einem Kneißl brauchte man bloß Gelegenheit zu geben, die Gendarmen zu erschießen, es bedurfte nicht erst, ihn zu einem solchen Entschlusse zu bestimmen, er hatte einen solchen Entschluß längst gefaßt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Anstifung
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/227&oldid=- (Version vom 1.8.2018)