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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

bestimmte, daß ihr Kind einen anderen Namen annehmen solle, gibt sie ziemlich unverhohlen der Überzeugung Ausdruck, daß sie Sie für den Mörder ihrer Mutter gehalten hat. – Angekl.: Wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, während meiner Untersuchungshaft mit meiner Frau eingehend zu sprechen, dann hätte ich ihr den unwiderleglichen Beweis geliefert, daß ich nicht der Mörder bin. – Vors.: Wollen Sie uns das nicht sagen, Sie haben auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Es läge in Ihrem dringenden Interesse, das was Sie Ihrer Frau sagen wollten, jetzt hier anzugeben. – Angekl.: Was ich meiner Frau sagen wollte, kann ich niemand anderem mitteilen. – Vert.: Ich ersuche, den Angeklagten zu fragen, ob er am 6. November einen Revolver bei sich gehabt hat? – Angekl. Darüber verweigere ich die Antwort. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) – Ein Beisitzer: Es ist aber in einem Ihrer Koffer ein Revolver gefunden worden? – Angekl.: Das ist richtig; mit diesem Revolver ist in Belgrad ein Attentat verübt worden; ich habe ihn in der Türkei geschenkt erhalten. – Vors.: Haben Sie den Schuß gehört, der Ihre Schwiegermutter tot zu Boden gestreckt hat? – Angekl.: Ich verweigere auch hierüber die Antwort. – Vors.: Nun Angeklagter, ich frage Sie noch einmal, bekennen Sie sich schuldig, Sie müssen doch selbst aus reinen Menschlichkeitsgründen sich sagen, daß Ihr Verteidigungssystem Sie stark verdächtig macht. – Angekl.: Ich habe nichts weiter hinzuzufügen.

Unter allgemeiner Spannung wurde Fräulein Olga Molitor, eine große, schlanke, hübsche, rötlich blonde Dame, als Zeugin in den Saal gerufen. Sie würdigte den Angeklagten keines Blickes. Der Angeklagte schlug die Augen nieder. Fräulein Molitor bekundete: Am 6. November 1906, nachmittags gegen 6 Uhr, klingelte es am Telephon. Das Mädchen fragte, wer da sei. Es wurde gesagt: Postinspektor Graf, er möchte Frau Medizinalrätin sprechen. Mama trat ans Telephon, da wurde ihr gesagt, sie solle sofort aufs Postamt kommen, das Aufgabeformular der gefälschten Depesche sei aus

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)