Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/211

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

dunkelblonden, kleinen Schnurrbart. Seine Wangen waren hohl und eingefallen. Er saß, in sich zusammengeknickt, wie ein armer Sünder auf der Anklagebank. Rechts und links hatte je ein Gendarm neben ihm Platz genommen. Man sah es ihm an, daß er lange Zeit schwer krank gewesen war. Rieger war bedeutend älter und größer als Kneißl. Er machte mit seinem bartlosen Gesicht den Eindruck eines Zuchthäuslers. Auf dem Korridor, vor dem Eingang zum Schwurgerichtssaal, stand die Mutter des Kneißl, eine kleine, sehr abgehärmt aussehende, sauber gekleidete Frau. Sie weinte bitterlich um ihren verlorenen Sohn. Zwei Gendarmen waren bemüht, die Frau zu trösten. –

Kneißl war im allgemeinen der ihm zur Last gelegten Straftaten geständig, er bestritt aber mit großer Entschiedenheit, daß er die Gendarmen habe erschießen wollen. Hätte er dies beabsichtigt, so bemerkte er auf Befragen des Vorsitzenden, dann würde er nicht nach den Beinen, sondern in den Kopf oder in die Brust geschossen haben. Er wollte die Gendarmen nur kampfunfähig machen, um dadurch sich der Verhaftung zu entziehen. – Vors.: Es wird von mehreren Zeugen behauptet: Sie haben die Leiche des Stationskommandanten Brandmeier mit dem Fuße gestoßen und in verächtlichem Tone gesagt: „Du bist gut hin“? – Kneißl: Das ist nicht wahr. – Vors.: Sie hatten einen Oheim, den Bruder Ihrer Mutter, namens Pascolini. Dieser hat etwa zehn Jahre lang, von Anfang der 1860er Jahre bis 1871, das Handwerk eines sehr gefürchteten Räuberhauptmanns in Oberbayern betrieben. Sie waren ja damals noch nicht auf der Welt, eine solche Familientradition wird doch aber in der Familie besprochen? – Kneißl: Ich habe davon gehört, es ist aber in unserer Familie davon nicht gesprochen worden. – Vors.: Das ist doch aber anzunehmen. Es ist ja nicht recht, von einem Familienmitgliede auf die ganze Familie zu schließen; ein Pascolini hat sich in der Untersuchung gegen Sie als Zeuge sehr korrekt benommen. Der Räuberhauptmann Pascolini hat auf dem Schafott geendet? – Kneißl: Soweit

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/211&oldid=- (Version vom 31.7.2018)