Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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gegangen, sondern haben an der Gepäckexpedition gesagt: Sie wollen abends weiterreisen. Bart und Perücke waren offenbar nicht gut gemacht, denn Sie sind mehrfach durch Ihren falschen Bart und Perücke in Baden-Baden beobachtet worden. Einem Schutzmann sind Sie derartig aufgefallen, daß er Ihre Persönlichkeit feststellen wollte. Sie haben auch zugegeben, Ihre Schwiegermutter am Spätnachmittag des 6. November 1906 ans Telephon gerufen zu haben. Sie haben sich als Postvorsteher Graf ausgegeben und Ihre Schwiegermutter aufgefordert, sofort nach dem Postamt zu kommen, das Aufgabeformular des gefälschten Pariser Telegramms habe sich gefunden. Ihre Schwiegermutter ist der Aufforderung nach anfänglicher Weigerung nachgekommen. Sie kam mit ihrer Tochter Olga nach dem Postamt. Als die Damen in der Nähe der Lindenstaffel waren, krachte ein Schuß. Er traf Frau Molitor in den Rücken. Die alte Dame fiel lautlos zur Erde, sie war sofort tot. In demselben Augenblick sah man einen großen, schlanken Mann eiligst nach dem Bahnhof laufen. – Angekl.: Ich verweigere über die gesamten Vorgänge in Baden-Baden en bloc die Aussage. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) – Vors.: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß, nachdem Sie das meiste zugegeben haben, Ihre heutige Erklärung auf Richter, die an direkte Beweise nicht gebunden sind, einen schlechten Eindruck machen muß. Sie reisten nun, nachdem Ihre Schwiegermutter ermordet war, mit dem nächsten Zuge nach Frankfurt. Von dort telegraphierten Sie an Ihre Frau nach London: „War nicht in Berlin, habe Geschäfte in Frankfurt abgemacht, komme sofort zurück." Während Sie in Frankfurt waren und sich wahrscheinlich auf die Ermordung Ihrer Schwiegermutter vorbereiteten, schrieb Ihre Frau an ihre Mutter einen herzlichen Brief, in dem sie ihr Bedauern aussprach, daß Sie sich den Strapazen einer so weiten Reise unterziehen mußten. Ich frage Sie nun, was hat Sie veranlaßt, nach Frankfurt zu reisen, sich dort einen falschen Bart und eine Perücke machen zu lassen und vermummt, d. h. mit falschem
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)