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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Koschemann hat ferner die bluttriefende und zu Verbrechen auffordernde Schrift „Gretchen und Helene“ vertrieben und ist deshalb bestraft worden. Also zuzutrauen ist diesen beiden Angeklagten sicher die Tat. Nun hieß es zuerst in der Presse, es sei eine Frau in Männerkleidern gewesen. Ich glaube nicht daran. Ich meine, es ist eine Mannsperson gewesen, welche einen frauenartigen Eindruck machte. Ich frage Sie, meine Herren Geschworenen, tut dies nicht Koschemann? Koschemann hat auffallend breite Hüften, einen trippelnden Gang. Das mädchenhafte Gesicht, welches er heute noch zeigt, war vor zwei Jahren gewiß noch mädchenhafter. Dazu kommt, daß die Kiste 25 Pfund schwer war, ein solches Gewicht konnte ein schwaches weibliches Geschöpf nicht tragen. Wenn wir nun die Zeugenaussagen derjenigen Personen vergleichen, welche die verdächtige Person in Fürstenwalde und derjenigen, die sie auf dem Schlesischen Bahnhofe gesehen haben, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß beide Personen identisch waren. Kennzeichnend ist die Handbewegung Koschemanns, wenn er sich die Haare zurückstrich. Und übereinstimmend sagten die Zeuginnen‚ welche für dergleichen Sachen doch eine scharfe Beobachtungsgabe haben, „das ist er!“, als er ihnen durch den Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Man berücksichtige ferner, daß Koschemann die Sache lange vorher in allen Einzelheiten durchdacht und dann mit großem Raffinement durchgeführt hat. Natürlich ist es nicht so leicht, ihm auf allen seinen Wegen zu folgen und sein Tun bei diesem Verbrechen zu entlarven. Dazu gehört ein sorgfältiges und mühsames Zusammenfügen aller verdächtigen Momente und der Nachweis, daß der vorbereitete Alibibeweis mißlungen ist. Der Angeklagte hat ja zwei Zeuginnen auftreten lassen, die anscheinend zu seinen Gunsten ausgesagt haben. Ich erinnere aber daran, in welchen persönlichen Beziehungen diese Zeuginnen zu Westphal gestanden haben und ich erinnere an die

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/194&oldid=- (Version vom 1.8.2018)