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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Wilhelm Weber angeklagt: von dem Vorhaben der Ermordung des Polizeioberst Krause zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten und es unterlassen zu haben, hiervon der Behörde oder dem Polizeioberst Krause Anzeige zu machen. Endlich war noch die Händlerin Josephine Gürtler wegen Begünstigung des Koschemann und außerdem wegen Majestätsbeleidigung angeklagt. Alle Angeklagten, auch die Frauen, bekannten sich zum Anarchismus, bestritten aber mit voller Entschiedenheit ihre Schuld. Die Verhandlung begann am 6. April 1897 vor dem Schwurgericht des Landgerichts Berlin I und dauerte bis einschließlich den 15. April. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Rieck. Die Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Kanzow, der in seiner jetzigen Eigenschaft als Landgerichtsdirektor den bekannten Prozeß wegen wissentlichen Meineids und versuchter Verleitung zum Meineid gegen den Fürsten Philipp Eulenburg und Hertefeld leitete. Die Verteidigung führten die Rechtsanwälte Dr. Werthauer und Dr. Schöps und Referendar Dr. Koch für Koschemann und Rechtsanwalt Dr. Bieber für die vier anderen Angeklagten. Der mittelgroße Angeklagte Koschemann machte mit seinem völlig bartlosen Gesicht und in seiner ganzen Haltung den Eindruck eines Sekundaners, dem die blonde Dichterlocke in die Stirn hineinstrebt. Westphal und Weber sahen bedeutend energischer aus. Der Angeklagte Koschemann gab auf Befragen des Vorsitzenden an: Sein Vater sei Grenzaufseher. Er habe zunächst in Kriedhausen (Kreis Cleve) die Gemeindeschule besucht, dann nach Übersiedelung seines Vaters nach Zeitz die dortige Mittelschule. Hierauf sei er zu einem Mechaniker in Zeitz in die Lehre gekommen, sei dann Elektrotechniker geworden und habe als solcher in Zeitz, Nürnberg und Budapest gearbeitet. Alsdann sei er auf die Wanderschaft nach dem Salzkammergut und die Schweiz gegangen und habe sich einige Zeit in Zürich aufgehalten. Bis dahin habe er sich mit politischen Angelegenheiten nicht

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/172&oldid=- (Version vom 31.7.2018)