Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/125

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Ich gebe zu, der Angeklagte ist erblich belastet. Er ist durch Selbstüberschätzung, sexuelle Verirrung und unverdautes Studium philosophischer Werke geistig und körperlich degeneriert, seine freie Willensbestimmung ist aber weder dauernd noch zur Zeit der Tat ausgeschlossen gewesen. Ich will auch zugeben, daß die Mädchen erschossen werden wollten und daß Martha Haars wiederholt den vergeblichen Versuch machte, sich zu töten. Andererseits muß dem Angeklagten klargemacht werden, daß er nicht derartig gegen die staatliche Ordnung handeln darf. Der Staatsanwalt erörterte alsdann die vom Angeklagten in dem Bankgeschäft verübten Straftaten und beantragte eine Gesamtstrafe von neun Jahren sechs Monaten Gefängnis. Er gebe sich der Hoffnung hin, daß die Strafe zur Besserung des Angeklagten beitragen werde.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Robert: Die Tat des Angeklagten ist zweifellos eine furchtbare. Die erschossenen Opfer schreien gewiß nach Sühne. Aber andererseits müssen doch bei Beurteilung der Tat die gesamten Umstände in Betracht gezogen werden. Wenn hier auch der römische Grundsatz: „Volenti non fit injuria“ nicht zur Anwendung kommen kann, so muß doch in Betracht gezogen werden, daß der Angeklagte unter einem gewissen Zwange gehandelt hat und daß er zum mindesten geistig degeneriert ist. Wenn man sich das noch knabenhafte Gesicht des Angeklagten ansieht, dann steht man wie vor einem unlösbaren psychologischen Rätsel. Der Angeklagte ist sich bis heute der Tragweite seiner Handlungsweise nicht bewußt. Er sagte mir mit voller Seelenruhe: Ich habe doch kein Verbrechen begangen! Die Mädchen wollten doch erschossen werden, für das Erschießen bin also nicht ich, sondern die Mädchen verantwortlich. Der Verteidiger verlas den von Martha Haars geschriebenen Abschiedsbrief, in dem es hieß: „Lieber Oskar! Ich gehe Deinetwegen in den Tod. Alma kommt aus Liebe zu mir mit.“ Der Verteidiger schloß: Eine lange Strafe sei bei dem Angeklagten nicht angebracht. Er sei kein schlechter Mensch. Er (Verteidiger) habe die Überzeugung,

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)