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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Auf Antrag des Sachverständigen, Geh. Medizinalrats Dr. Gerlach, wurde ein Brief verlesen, den der Angeklagte am 16. November 1905 aus dem Untersuchungsgefängnis an seine Mutter geschrieben hatte. Der Brief lautete etwa: „Geliebte Mutter! Die Untersuchung gegen mich scheint sich etwas lang auszudehnen. Ich befinde mich wohlauf, nur daß ich meiner Freiheit entbehre. Mein Klavier und meine Guitarre fehlen mir. Zu lesen habe ich genug. Das Essen ist schmackhaft und bekommt mir sehr gut. Ich bin keineswegs ein an Geist und Körper gebrochener Mensch. Wenn ich herauskomme, dann werde ich vom unreifen Knaben zum reifen Manne herangewachsen sein. Ich bin keine Verbrechernatur, ich habe nichts Entehrendes begangen.“ Der Brief schloß mit der Bitte an die Mutter, ihm eine Nagelschere und ein Buch zu schicken.

Geh. Rat Dr. Gerlach: Haben Sie den Brief geschrieben, damit ihn Ihre Mutter bekommen sollte oder damit er abgefangen werde? – Angekl.: Ich habe den Brief allerdings geschrieben in der Absicht, daß er allgemein gelesen werde. Ich wollte mich gegen die Beschuldigung verwahren, daß ich ein Verbrecher sei. Herr Staatsanwalt Peßler nannte mich nämlich von vornherein eine Bestie, das wollte ich zurückweisen. – Geh. Rat Dr. Gerlach: Ist es richtig, daß Sie schon, als Sie noch in der Untersekunda saßen, Dramen geschrieben haben? – Angekl.: Jawohl. – Staatsanwalt: Haben Sie nicht auch Abschiedsbriefe geschrieben? – Angekl.: Jawohl. – Staatsanwalt: Wo schrieben Sie die Abschiedsbriefe? – Angekl.: Im Kontor. – Auf Antrag des Geh. Med.-Rats Dr. Gerlach wurden einige Stellen aus den Dramen verlesen. – Das dritte Drama, das Brunke auch dem Königlichen Schauspielhause in Berlin eingereicht hatte, betitelte sich: „Aus dem Leben der Prinzessin Luise“.

Nach Vernehmung des Angeklagten beschloß der Gerichtshof, die Öffentlichkeit wiederherzustellen.

Es wurde darauf Ober-Realschuldirektor Dr. Wernicke

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/121&oldid=- (Version vom 1.8.2018)