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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Der Vorsitzende ließ hierauf den Angeklagten vor den Richtertisch treten. Der Angeklagte bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei am 27. Juli 1887 als Sohn eines Schlossermeisters in Braunschweig geboren, lutherischer Konfession. Er habe die Oberrealschule bis zur Untersekunda besucht und sei am 4. Juli 1904 in das Braunschweiger Bankgeschäft von Spanjer-Herford als Lehrling eingetreten. Er hatte sich vorher bei der Kaiserlichen Marine gemeldet, wurde aber als zu schwach befunden und deshalb nicht angenommen. Sein Vater sei tot. Er habe noch einen Bruder und zwei bereits verheiratete Schwestern. Seine Mutter habe in der Monumentstraße 1 in Braunschweig parterre und erste Etage eine Wohnung zwecks Abvermietens gehabt. Von dem Plus des Abvermietens habe seine Mutter gelebt. Er (Angekl.) sei außer von seiner Mutter von einzelnen Wohltätern und von seinen Schwestern unterstützt worden. Er habe, nachdem er in das Bankgeschäft eingetreten war, Geschichte und Philosophie getrieben. Ganz besonders habe er „Kritik der reinen Vernunft“ von Kant, sämtliche Werke Schopenhauers, die Gedichte von Heine u. a. gelesen. – Vors.: Haben Sie dies alles, insbesondere Schopenhauer und Kant, denn auch verstanden? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Na, hören Sie einmal, das fällt manchem gebildeten Erwachsenen schwer. – Angekl.: Ich habe alles verstanden. – Vors.: Sie haben sich auch mit dramatischer Poesie beschäftigt? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Sie haben selbst mehrere Dramen verfaßt und diese dem hiesigen Hoftheater, dem Deutschen Theater und dem Lessingtheater in Berlin zur Aufführung eingereicht? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Das erste Drama betitelte sich „Ein Sonderling“, der Sonderling waren Sie? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Ein zweites Drama betitelte sich „Elternlos“. – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Wie kamen Sie auf den Gedanken, Theaterstücke zu schreiben? – Angekl.: Ich hatte die Absicht, Schriftsteller zu werden. – Vors.: Sie hatten doch aber die Absicht, das Bankgeschäft zu erlernen? – Angekl.: Es

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/117&oldid=- (Version vom 31.7.2018)