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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

gewonnen, daß auch Lütscher in allen Hauptpunkten die Wahrheit gesagt hat. Es ist von keinem Zeugen bemerkt worden, daß Hartmann dem Angeklagten einen Stoß versetzt hat, oder eine Wendung machte, wonach der Angeklagte hätte annehmen können, Hartmann wollte ihn angreifen. Fest steht, daß der Angeklagte dem Hartmann zwei- bis dreimal ‚Halt‘ zugerufen hat. Da Hartmann aber nicht stehen blieb, schlug ihn der Angeklagte von hinten mit seinem blankgezogenen Dolch, so daß die Wange heftig blutete. Da Hartmann trotzdem immer noch nicht stehen blieb, stach ihn der Angeklagte derartig in den Rücken, daß sehr bald der Tod eintrat. Daraufhin hat sich der Angeklagte sofort der Behörde gestellt. Der Angeklagte hat die Dienstbestimmungen verletzt, da er Hartmann angefaßt hat. Es hätte vollständig genügt, dem Hartmann gut zuzureden, um ihn von der Straße fortzubekommen. Noch weniger war ein Grund vorhanden, den Angeklagten mit dem Dolch zu stechen Selbst angenommen, Hartmann habe den Angeklagten angegriffen, oder der Angeklagte habe einen solchen Angriff befürchtet, so hatte er durch den Schlag den Angriff schon abgewehrt. Es soll dem Angeklagten geglaubt werden, daß er der Meinung war, Hartmann wollte ihn schlagen und er habe die Verpflichtung, den vermeintlichen Angriff abzuwehren. Er hatte aber jedenfalls kein Recht, auf den Fliehenden zu stechen. Von einer Notwehr kann keine Rede sein. Das Gesetz gestattet wohl dem Soldaten in äußerster Not und dringender Gefahr Angriffe von Untergebenen abzuwehren und letztere sogar zu töten; Voraussetzung dabei ist aber äußerste Not und dringende Gefahr. Diese Voraussetzung liegt jedoch nicht vor. Der Angeklagte selbst behauptet nicht, daß Hartmann, nachdem er die Flucht ergriffen, sich noch einmal umgedreht habe. Von einer äußersten Not und dringenden Gefahr kann mithin keine Rede sein. Der Gerichtshof hat nicht angenommen, daß der Angeklagte die Absicht hatte, den Hartmann zu töten, wohl aber, daß er sich der vorsätzlichen Mißhandlung mit tödlichem Ausgange

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)