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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

der vorsätzlichen Körperverletzung beantrage ich die Freisprechung. – Vertreter der Anklage: Der Angeklagte konnte nicht annehmen, der Fliehende werde ihn angreifen; das ganze Verhalten Hartmanns sprach dagegen. Der Angeklagte mußte das Bewußtsein haben, er sei nicht berechtigt, den Fliehenden durch einen starken Dolchstich‚ der sofort den wattierten Waffenrock durchbohrte‚ zum Stehen zu bringen. – Nach etwa zweistündiger Beratung des Gerichtshofs verkündete der Verhandlungsführer, Marinekriegsgerichtsrat Tamaschke, folgendes Urteil: Das Kriegsgericht hat folgenden Tatbestand für vorliegend erachtet: Am 11. April nachts gegen 12 Uhr kamen Hartmann, Lütscher und Schröder vom Dritten Hagen in Essen nach der Brandstraße, um sich in das Müllersche Restaurationslokal zu begeben. Sie hatten alle drei tagsüber viel getrunken. Hartmann war derartig bezecht, daß er schwankte. Da die drei jungen Leute auch auf der Straße sehr laut waren, wurde der Angeklagte auf sie aufmerksam. Er trat an Hartmann heran und forderte ihn auf, ihm zur Wache zu folgen. Hartmann nahm dies scherzhaft auf, oder wie der Angeklagte sich ausdrückte, „plump vertraulich“. Der Angeklagte bemerkte deshalb: Ich bin im Dienst und erteile Ihnen den dienstlichen Befehl, mir zur Wache zu folgen. Lütscher redete außerdem Hartmann zu, seinem Vorgesetzten Folge zu leisten. Darauf ergriff der Angeklagte den Hartmann am linken, Lütscher am rechten Arm. In dieser Weise begaben sich die drei Personen zur Polizeiwache. Kaum waren sie 20–30 Schritt gegangen, da riß sich Hartmann los und wandte sich zur Flucht. Ob der Angeklagte den Hartmann schon vorher losgelassen hatte, konnte mit Sicherheit nicht festgestellt werden. Der Gerichtshof billigt auch nicht, daß Privatvernehmungen stattgefunden haben. Er hat aber trotzdem die Überzeugung gewonnen, daß die Zeugen Weinberg und Katz die volle Wahrheit gesagt haben. Obwohl Lütscher das Bestreben hatte, den Tod seines Freundes Hartmann zu sühnen, so hat der Gerichtshof die Überzeugung

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)