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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

war, daß es erforderlich gewesen ist, ihn zu verhaften. Das war um so weniger notwendig, da Hartmann in Gesellschaft eines Freundes war. Der Angeklagte war absolut nicht berechtigt, von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Er konnte einmal den Hartmann durch Festhalten am Entfliehen hindern, andererseits hätte er durch Lütscher sofort den Namen erfahren können. In großen Garnisonorten muß allerdings die Disziplin voll aufrecht erhalten werden, auf Urlaub kann aber etwas nachgesehen werden. Ich bin überzeugt, hier in Kiel wird es dem Angeklagten nicht einfallen, einen Matrosen wegen Trunkenheit zu verhaften, obwohl er hier eine viel größere Berechtigung hätte, als in Essen, wo auf Urlaub Soldaten aller Truppengattungen waren und Hartmann einem ganz andern Truppenteil angehörte, als er. Der Angeklagte ist lange genug Soldat, um nicht seine Instruktion zu kennen. Die Beweisaufnahme hat aber andrerseits auch nicht ergeben, daß der Angeklagte den Tod des Hartmann gewollt hat. Der Angeklagte hat lediglich aus Prahlerei und persönlicher Eitelkeit gehandelt. Es liegt mithin eine vorsätzliche Mißhandlung eines Untergebenen mit tödlichem Ausgange vor. Der Angeklagte hat sich mithin im Sinne des § 123 Absatz 3 und wegen unbefugten Waffengebrauchs im Sinne des § 149 des Militärstrafgesetzbuches schuldig gemacht. Von einer Notwehr kann nicht im entferntesten die Rede sein. Ebensowenig können mildernde Umstände Platz greifen. Andererseits wird bei der Strafzumessung in Erwägung zu ziehen sein, daß der Angeklagte ein noch sehr junger Mensch ist, der, wie seine Briefe besagen, geistig noch nicht vollständig entwickelt ist! Es wird ferner in Betracht zu ziehen sein, daß die falschen Ehrbegriffe des Angeklagten sehr viel an der Tat schuld waren. In Anbetracht alles dessen beantrage ich 6 Jahre Zuchthaus und Ausstoßung aus der Marine.

Verteidiger, Rechtsanwalt Stobbe-Kiel: Wir alle stehen unter dem Eindruck des traurigen Ausgangs der vorliegenden Tat. Ich gebe zu, der Vorfall hat mit Recht große Erregung

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)