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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

in dieser Hetze liegt. Die Leute haben gar kein Interesse, daß der wirklich Schuldige ermittelt werde, die Tat an sich war ihnen ein willkommenes Agitationsmittel. Es ist hier nicht meine Aufgabe, eine Rede gegen das Treiben der Antisemiten zu halten. Wenn die Leute es als ihre Aufgabe betrachten, dahin zu wirken, daß die Juden aus Deutschland getrieben und die Zeiten des Augustus wieder herbeigeführt werden, habeant sibi. Meine Aufgabe als Verteidiger ist eine ganz andere. Allein erwägen Sie, meine Herren Geschworenen, wenn es dem Buschhoff nicht gelungen wäre, in so überzeugender Weise sein Alibi nachzuweisen, was hätte alsdann diese Hetze für Folgen haben können. Der Verteidiger erörterte hierauf den eigentlichen Tatbestand und fuhr alsdann fort: Ich habe nicht notwendig, Ihnen noch eine Schilderung von dem Angeklagten zu geben, er dürfte Ihnen durch die zehntägige Verhandlung hinlänglich bekanntgeworden sein. Ich will Sie bloß an den wahrhaft dramatischen Vorgang mit dem Sack erinnern. Ich muß gestehen, als der Sack mit den rotbraunen Flecken dem Angeklagten vorgelegt wurde, da glaubte ich fast selbst, es könnten irgendwelche Anhaltspunkte für die Schuld des Angeklagten festgestellt werden. Allein Sie erinnern sich, mit welcher Unbefangenheit der Angeklagte vortrat und auf die Frage des Vorsitzenden, wie er die rotbraunen Flecke an dem Sack erkläre, die natürlichste Antwort von der Welt gab: er habe den Sack bei der Fleischräucherung benutzt und die verdächtigen Flecken seien Rauchflecken. Aber außerdem ist doch auch der Lebenswandel des Angeklagten in Betracht zu ziehen. Sie haben gehört, daß Buschhoff aus Anlaß des Sterbetages seines Vaters des Morgens und Abends in die Synagoge ging, daß er dieses Sterbetages wegen bis Mittag fastete, daß er, ehe er sich mit seiner Familie zu Tisch setzte, betete. Jemand, der so pietätvoll seiner verstorbenen Eltern gedenkt und als Lohn dafür die Liebe seiner Kinder erweckt, ist nicht das Holz, aus dem Mörder geschnitzt werden. Der Verteidiger ging noch des

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)