Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/76

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

daß soviel Blut in der Scheune war, wie ein so jugendlicher Körper nur verlieren konnte, schließe ich mich dem Gutachten der medizinischen Sachverständigen an. Ich bemerke also, ich halte den Fundort für den Tatort.

Brauchen die Juden Christenblut? Auf Ladung der Verteidigung erschien im Laufe der Verhandlung Professor Dr. Nöldecke (Straßburg, Elsaß), Professor der semitischen Sprachen an der Straßburger Universität als Sachverständiger. Vert. Rechtsanwalt Gammersbach: Die Verteidigung hat den Herrn Professor geladen, da behauptet worden ist: der Knabe sei ermordet worden, weil die Juden zu ihren rituellen Zwecken Christenblut brauchen. Der Herr Professor ist nun in der talmudischen Wissenschaft eine Autorität ersten Ranges. Ich richte deshalb die Frage an den Herrn Professor, ob in den Religionssatzungen der Juden die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist? Professor Dr. Nöldecke: Der Talmud ist allerdings eine Sammlung von Gesetzen und Erklärungen vieler Jahrhunderte und in solchem Umfange, daß niemand mit voller Sicherheit sagen kann, was nicht im Talmud steht. Ich habe aber genau den Talmud nach einer solchen Stelle durchforscht und kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß eine Satzung, wonach den Juden die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist, nicht im Talmud enthalten ist.

Vert. Rechtsanwalt Gammersbach: Im Jahre 1883 hat in Wien ein Prozeß Rohling wider Bloch stattgefunden. In diesem Prozeß sind Sie, Herr Professor, ebenfalls als Sachverständiger aufgetreten und haben bekundet, daß Ihnen keine Stelle in einem jüdischen Gesetzbuch bekannt sei, die von Ritualmord handelt. – Professor Dr. Nöldecke: Der bekannte Professor Rohling behauptete damals, daß wohl nicht im Talmud, aber in Sohar und Sefer Halkutim der Ritualmord vorgeschrieben sei. Wenn auch diese Bücher nicht von allen Juden anerkannt werden, so gelten sie doch bei einem Teile der Juden noch als heilig. Ich habe nun im

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)