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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

nicht kennt und nicht verträgt. Er hat von Leuten gesprochen, die heute einen Meineid leisten und morgen beichten. Ich bin nicht Katholik, aber habe mich gewundert, daß ein Staatsbeamter, eine Stütze von Thron und Altar, hier so wenig achtungsvoll von einer Einrichtung der katholischen Kirche gesprochen hat. – Staatsanwalt Dr. Müller: Das kann ich nicht zulassen. –

R.-A. Chodziesner (fortfahrend): Bitte, mich nicht zu stören. Der zweite Herr Staatsanwalt hat dann weiter davon gesprochen, wie der Zivilprozeß unter allen Umständen zugunsten des Grafen Hektor und zuungunsten der Gräfin entschieden wird. Mit Emphase hat er gesagt, er gebe Ihnen Brief und Siegel dafür. Nun, dieses Siegel kostet viel Geld, und diese Prophezeiung ist falsch, dieser Zivilprozeß wird niemals stattfinden, weil er nicht stattfinden kann; denn gegen ein Versäumnisurteil ist ein Wiederaufnahmeverfahren fast unmöglich. Er wird aber auch deshalb nicht stattfinden, weil auch in der Brust des Mannes, mit dem wir uns ausgiebig hier beschäftigen mußten, der Friede eingezogen sein wird und er sich unter Ihr Urteil beugen und wieder ein Edelmann sein wird, wie früher. Er wird vornehm um Verzeihung bitten, davon bin ich überzeugt.

M. H. Geschworenen! Schwer war die Bürde Ihres Amtes, und schwerwiegend sind die Folgen, die sich an Ihren Spruch knüpfen. Es handelt sich darum, soll die Frau Gräfin ins Zuchthaus wandern, soll den Eltern das Kind, dem Kinde die Eltern genommen werden. Was des Kindes harrt, hat uns Graf Hektor in einer schwachen Stunde verraten. Er sagte, ich werde es nicht zum Schuster und Schneider bringen, und man wird sorgen müssen, daß es nicht zum Verbrecher wird. Was berechtigt den Herrn Grafen Hektor, so von diesem schönen Knaben zu sprechen, der in seiner Unschuld keine Ahnung hat, welchen Kampf hier die Verteidiger seiner Eltern durchkämpfen, dessen unschuldsvolle Seele nichts ahnt von den Niederungen dieses Lebens.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)