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im weiteren: ich kam schließlich zu der Überzeugung, daß es höchste Zeit sei, dem Humbug ein Ende zu machen, umsomehr, da mir bekannt war, daß Frau Rothe schon einmal im Jahre 1884 entlarvt worden ist. Ich hatte als „Landwirt Naumann“ auch zur letzten Sitzung Zutritt erhalten. Als die Rothe plötzlich ein Büschel blühender Blumen zu Tage förderte und sie als Gruß eines verstorbenen Freundes dem anwesenden Berichterstatter Fließ überreichte, folgte die Katastrophe. Ich hielt der Frau Rothe beide Hände fest, damit nicht etwa eine günstige Gelegenheit benutzt werden konnte, um sämtliche Blumen auf einmal aus der vierten Dimension herauszuzaubern. Die Rothe fiel zunächst zu Boden, leistete aber alsdann mit erstaunlicher Kraft Widerstand. Das Publikum, insbesondere die anwesenden Damen, waren außer sich. Ich erhielt verschiedene Stöße und Püffe. Man fand bei der Rothe im Unterrock außer den 157 Blumen auch zwei außergewöhnlich große Apfelsinen. Jentsch rief mir mit dem Zeichen des Entsetzens zu: „Sie werden das Medium totschlagen, es befindet sich ja im Trance“. Als alles nichts half, erinnerte sich die Rothe ihres in einer benachbarten Destillation sitzenden Ehemannes. Sie rief wiederholt „Vater, Vater!“ Als ich auf dem Polizeipräsidium zu Herrn Rothe sagte: Sie sehen doch, daß es sich um ganz gemeinen Schwindel handelt, versetzte er: „Ich bin sprachlos“. Ich fragte: Wird denn Ihre Frau auch im Gefängnis Blumen apportieren? Warum nicht, erwiderte Herr Rothe. Sie hat aber keine Blumen apportiert, wohl nicht einmal ihren Verteidigern. Am folgenden Tage sagte Herr Rothe: Meine Frau hat sicher keine Blumen gehabt; es ist ihr ergangen wie einem geängstigten Tier, die Blumen sind ihr in der Todesangst herausgekommen. Als Frau Rothe auf dem Polizeipräsidium vernommen wurde, tat sie so, als ob sie in Trancezustand verfallen würde. Neben mir stand ein Schutzmann, dessen Frau 10 Monate vorher verstorben war. Der Schutzmann trug