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die Angeklagte mit halb geöffneten Augen während ihres angeblichen Trancezustandes die Anwesenden genau musterte. – Vert. R.-A. Dr. Thiele: Ist es dem Zeugen bekannt, daß auch hypnotisierte Personen, obwohl sie wirklich hypnotisiert sind, die Augen oftmals geöffnet halten? Zeuge: Ich war fest davon überzeugt, daß die Angeklagte genau die Zuschauer beobachtete. – Auf weiteres Befragen bekundete der Zeuge: Zu der Sitzung, in der wir die Entlarvung vornehmen wollten, hatten wir alle Mühe, Einlaß zu erhalten, es gelang aber schließlich doch. Die Sitzung fand im Zimmer des Jentsch statt. Ich suchte in die Nähe der Rothe zu kommen und setzte mich deshalb auf das Sofa. Ich hatte mich mit dem Kriminalkommissar v. Kracht verabredet, Frau Rothe zu entlarven, sobald sie Blumen produzieren sollte. Wir warteten deshalb den ersten Apport ab; es waren Blumen, die Frau Rothe einem uns gegenübersitzenden Berichterstatter überreichte. In diesem Augenblick sprang v. Kracht auf, rief „Halt“ und hielt der Angeklagten beide Hände fest. Ich eilte hinzu. Frau Rothe schien zunächst in Ohnmacht zu fallen, sie leistete aber schließlich ganz erheblichen Widerstand. Die Zuschauer nahmen zunächst für Frau Rothe Partei, sie mußten erst darauf hingewiesen werden, daß wir im Namen des Gesetzes handelten. Als die Männer aus dem Zimmer geschickt wurden und die Angeklagte von Fräulein Binswanger untersucht werden sollte, sträubte sie sich mit Händen und Füßen. Schließlich sah sie wohl ein, daß der Widerstand nutzlos sei, und nun wurden in ihrem Unterrock, den sie tütenartig um den Leib hatte, 157 Blumen, ferner Apfelsinen und Zitronen vorgefunden. Jentsch suchte uns vorzureden, daß die Blumen nicht bei der Rothe gewesen, sondern wahrscheinlich infolge des ungerechten Angriffs „materialisiert“ worden seien. – Vors.: Nun, Frau Rothe, was sagen Sie dazu? Angekl.: Ich habe den Unterrock, den ich in Paris gekauft habe, so angezogen wie jeden anderen. Erst hieß es, ich habe eine Tasche im Unterrock, alsdann