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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

Betrug zu begehen fehlt mir der Mut, dagegen könnte ich es fertig bringen, zur Stillung meines Hungers einen Menschen zu ermorden und zu berauben. Der Angeklagte bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Während er außer Arbeit war, habe er sehr viel, ganz besonders Fachliteratur gelesen. Er habe wohl einmal einen Roman gelesen, in dem ein Raubmord im Eisenbahncoupé geschildert war, dadurch sei er aber nicht auf den Gedanken gekommen, den Raubmord zu begehen. Er gebe zu, große Vorliebe für Süßigkeiten gehabt zu haben. Er sei wohl einmal auf den Gedanken gekommen, sich durch Geigenspiel Geld zu verdienen, er habe den Gedanken aber niemals zur Tat werden lassen. Er habe auch Hamburger und Altonaer Zeitungen Aufsätze und Gedichte eingesandt, aber kein Honorar dafür erhalten. – Vors.: Sie sollen einmal einer jungen Dame, als Sie in Oranienburg waren, erzählt haben: Sie hießen nicht Rücker, sondern Fernaldo, Rücker sei nur Ihr Pflegevater. Ihr Vater sei ein deutscher Edelmann, Ihre Mutter Zigeunerin gewesen? Angekl.: Das war eine Renommisterei. – Vors.: Woher hatten Sie das Geld zur Lösung der Fahrkarte? Angekl.: Ich hatte mir eine Mark von meiner Wirtin geliehen. – Die als Zeugen erschienenen Wirtsleute des Angeklagten bekundeten: Rücker sei ein sehr ordentlicher Mensch gewesen, der gänzlich zurückgezogen lebte. Sie hätten ihm eine schlechte Tat, am allerwenigsten aber ein solch entsetzliches Verbrechen nie zugetraut. Sie ahnten nicht, daß der junge Mann hungre. Wenn er sich ihnen offenbart hätte, dann würden sie ihm unbedenklich Geld geliehen haben, zumal ihnen bekannt war, daß er der Sohn wohlhabender Eltern sei: Er spielte so wundervoll Geige, daß die Leute auf der Straße weit und breit stehen blieben, um den melodischen Tönen zu lauschen. – Es wurde festgestellt, daß der Angeklagte schon als Knabe vielfach an Kopfweh, bisweilen auch an Krämpfen gelitten habe. Der Angeklagte bemerkte noch auf Befragen des Vorsitzenden:

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/15&oldid=- (Version vom 31.7.2018)