Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/144

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1
Der falsche Hauptmann von Köpenick, Wilhelm Voigt

Schlüssel zum Geldschrank gegeben, und Bürgermeister Langerhans, der sich dem Hauptmann als Reserveoffizier zu erkennen gegeben, hatte dem Hauptmann auf Ehrenwort versichert, daß er nicht die Flucht ergreifen werde. Alsdann befahl der Hauptmann, daß auf jedem Wagen ein Soldat mit aufgepflanztem Bajonett auf dem Kutschbrett Platz nehme.

In Berlin auf der Neuen Wache angelangt, war man über den eigenartigen Transport nicht wenig erstaunt. Der Kommandierende der Wache fragte telephonisch bei der Kommandantur an. Als diese antwortete, daß von einem Haftbefehl nichts bekannt sei, gelangte man zu der Überzeugung, daß der angebliche Hauptmann ein geriebener Gauner sein müsse. Letzterer hatte in Köpenick dem Gefreiten Klapdohr den Befehl gegeben: nach einer halben Stunde die Posten einzuziehen und alsdann mit der Mannschaft nach Berlin zurückzufahren. Der Hauptmann selbst begab sich zur Bahn und war seit dieser Zeit verschwunden. Dieser eigenartige Gaunerstreich machte begreiflicherweise in der ganzen Kulturwelt das größte Aufsehen.

Eine hohe Belohnung wurde sogleich auf die Ergreifung des Gauners ausgesetzt. Am 26. Oktober 1906 gelang es der Kriminalpolizei, unter Leitung des Kriminalkommissars jetzigen Polizeiinspektors Wehn, den falschen Hauptmann in der im Osten Berlins belegenen Langestraße 22 zu verhaften. Es war der Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt, ein vielfach wegen Eigentumsvergehen mit Gefängnis und Zuchthaus, zuletzt wegen Einbruchs in die Gerichtskasse zu Wongrowitz mit 15 Jahren Zuchthaus, Ehrverlust und Polizeiaufsicht bestrafter Mensch. Voigt hatte am 16. Oktober 1906 Hauptmannsuniform, die er bei einem Trödler gekauft hatte, angelegt und alsdann auf der Straße die Ablösungen der Schwimmanstalts- und Schießstandswache in Plötzensee, als diese in die Kaserne marschierten, angehalten und befohlen, mit ihm zu gehen, er habe einen Befehl des Kaisers auszuführen. Auf dem Bahnhof in Köpenick

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)