Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1 | |
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von der Schule abgegangen und bei einem Reichenberger Gärtner in die Lehre getreten. Der Vater habe ihm auch Musikunterricht geben lassen. Er besitze eine wertvolle Geige, auf der er vorzüglich spielen könne. Nach beendeter Lehrzeit in Reichenberg sei er zwei Semester auf der Gärtnerlehranstalt in Oranienburg bei Berlin gewesen. Von dort sei er als Gärtnergehilfe nach Trier gegangen. Einige Zeit darauf sei er von dem Handelsgärtner Berndt in Wandsbeck engagiert worden. Er wurde aber von Berndt nach kurzer Zeit entlassen. Berndt habe ihm ins Arbeitsbuch geschrieben: er sei als Gärtner vollständig unbrauchbar. Berndt habe außerdem zu ihm gesagt: Ich bin erster Schriftführer des deutschen Handelsgärtnerei-Verbandes; ich werde dafür sorgen, daß Sie in Deutschland keine Arbeit mehr erhalten und ausgewiesen werden.“ Er konnte infolgedessen als Gärtnergehilfe keine Arbeit mehr erhalten. Berndt habe auch zu ihm gesagt: er werde auf die schwarze Liste gesetzt werden. Er habe aber in einer Hamburger Eisenwarenhandlung gegen einen Wochenlohn von 20 Mark eine Anstellung gefunden. Da er Vegetarier und Antialkoholiker sei, konnte er mit einem Wochenlohn von 20 Mark sehr gut auskommen. Allein nach einiger Zeit sei er auch der Stellung in der Eisenwarenhandlung verlustig gegangen. Er konnte alsdann keine Beschäftigung mehr finden. Das wenige Geld, das er besaß, sei bald zu Ende gegangen, er konnte sich daher nicht mehr ein Stückchen Schrotbrot kaufen. Er habe tagelang gehungert. Wenn er seinem Vater geschrieben hätte, würde er umgehend Geld erhalten haben, es widerstrebte ihm aber, sich seinem Vater zu offenbaren. Als er nun eines Nachts vor Hunger nicht einschlafen konnte, kam ihm der Gedanke, auf den Bahnhof zu gehen, nach einem wohlhabenden, allein reisenden Herrn Umschau zu halten, sich zu diesem nach Lösung eines Billets ins Coupé zu setzen, ihn bei passender Gelegenheit mit einem Beil zu erschlagen und alsdann zu berauben. In den letzten drei Tagen vor dem Morde hatte
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)