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mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand, in eine Privatpflege gehen zu dürfen, er wurde jedoch von dem Erzbischof nach Mariaberg mit den Worten befohlen, er werde dort eine Pflege erhalten, wie er sie in der kostspieligsten Privatpflege nicht bekommen könne. Und als Rheindorf sich durchaus weigerte, nach „Mariaberg“ zu gehen, wurde ihm bedeutet: wenn er sich nicht unverzüglich nach Mariaberg begebe, habe er noch strengere Maßregeln zu erwarten. Mein Kollege hat bereits hervorgehoben, daß hier eine Nötigung vorliegt. Ich will hierbei bemerken, daß dieser Prozeß sich nicht gegen den Ultramontanismus oder Katholizismus richtet, sondern lediglich in objektiver Weise Mißstände, schreiende Mißstände aufdeckt. Ich freue mich, daß selbst Zentrumsblätter dies eingesehen haben und über die Verhandlungen dieses Prozesses vollständig objektiv berichten. Ich fahre in der Beleuchtung des Falles Rheindorf fort und bemerkte: Der erwähnte Befehl des Erzbischofs war sicherer wie eine militärische Eskorte, die einen Sträfling ins Zuchthaus schafft. Wir haben aus dem Munde des Pfarrers Rheindorf selbst gehört: Er wurde wie ein Gefangener und Verbrecher behandelt. Ist es nicht geradezu empörend, daß ehemalige Schuster, Schneider, Bäcker, Brauer, Fremdenführer usw. das Recht haben, katholische Priester, also akademisch gebildete Leute, wie Verbrecher zu behandeln und nach Belieben zu mißhandeln. Wir haben gehört, welch ungeheure Macht der ehemalige Schneidergeselle Bruder Heinrich nicht bloß über die Kranken, sondern auch über die Ärzte hat. Es ist hier von zwei Zeugen eidlich bekundet worden, daß Bruder Heinrich selbst nach dem Erzbischof und dem Generalvikar nicht fragt. „Wer hier ist, der wird zahm gemacht, ohne unseren Willen kommt aus diesen Mauern niemand heraus. Hier hat weder der Erzbischof, noch der Generalvikar, noch die „Döktersch“ etwas zu sagen, hier haben nur wir Brüder etwas zu sagen, wir Brüder sind klüger als die „Döktersch“. Ist das nicht charakteristisch.