Kranken wegen da sind und nicht die Kranken der Ärzte wegen. Es heißt doch alles auf den Kopf stellen, wenn Kranke, die den Arzt verlangen, sich bei diesem in seinem Zimmer melden müssen. In jeder anderen Krankenanstalt kommt der Arzt unaufgefordert zu dem Kranken. Auf Befragen des Staatsanwalts und des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalt Oster, erklären die medizinischen Sachverständigen wiederholt, daß die Psychiatrie alle Zucht- und Strafmittel gegen Kranke grundsätzlich verwirft. Zwangsmittel, die zur eigenen Sicherheit des Kranken geboten erscheinen, dürfen nur von einem Arzt angeordnet und auch nur in dessen Beisein angewendet werden. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Wir könnten noch einige dreißig Zeugen vorführen, die über arge Mißhandlungen, die die Brüder in Mariaberg an Kranken vorgenommen haben, bekunden würden. Wir hatten außerdem die Absicht, den Antrag zu stellen, wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit die Öffentlichkeit auszuschließen und eine Reihe von Zeugen vorzuführen, die bekundet hätten, daß im Kloster Mariaberg im Beisein und zum Teil unter Teilnahme der Brüder widernatürliche Unzucht getrieben worden sei. Die Verteidigung hat jedoch nicht die Absicht, ohne daß eine dringende Notwendigkeit vorliegt, noch mehr Schmutz aufzuwirbeln. Die Verteidigung verzichtet deshalb auf jede weitere Beweisaufnahme, da die Zustände in Mariaberg hinreichend beleuchtet worden sind. – Staatsanwalt Pult, der am vorletzten Tage zur Begründung der Anklage das Wort nahm, führte u. a. aus: Die Anklage ist auch erhoben worden wegen einer Reihe von Behauptungen, daß im Alexianerkloster Mariaberg die Kranken in ärgster Weise mißhandelt worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bin ich genötigt, die Anklage nach dieser Richtung fallen zu lassen. Es ist in der Tat festgestellt, daß im Kloster Mariaberg Dinge vorgekommen sind, die die schwersten Strafen rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)