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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

muß, denn es ist abgegeben ohne ausreichende Unterlage, ohne ausreichende Vergleichsmäßigkeit und ohne den Mut der Konsequenz. Das Gutachten des Geh. Rats Dr. Kortum klang Ihnen vielleicht ähnlich, in Wahrheit aber war es grundverschieden. Unser langjähriger, verdienter Gerichtsarzt, Herr Medizinalrat Dr. Hoffmann, der leider von Berlin abwesend ist, hat nicht die Meinung gehabt, daß die Angeklagte geisteskrank sei, er hat es aber doch für seine Pflicht gehalten, wegen einiger Krankheitserscheinungen der Angeklagten, den Antrag aus § 81 zu stellen. Herr Dr. Cohn hat die Angeklagte einmal gesehen und gesprochen. Sein Gutachten beruht auf den eigenen Angaben der Angeklagten, die er alle als wahr annimmt, obwohl die Angeklagte doch ausgesprochen hysterisch ist. Hysterische sind aber bekanntlich zur Unwahrhaftigkeit und zur Lüge geneigt. Es hat mir fast einen körperlichen Schmerz bereitet, daß ein Mann von der wissenschaftlichen Bedeutung des Herrn Dr. Cohn „Zwangsvorstellungen“ feststellen zu können glaubt, lediglich auf die Angaben der Angeklagten hin. Er hat die Zwangsvorstellungen mit der Platzfurcht verglichen. Es ist auffallend, daß der Sachverständige eine Zwangsvorstellung feststellen zu können glaubte. Es wird auf die Verfassung verwiesen, in der die drei Zeugen, die auf den Knall hinzugeeilt waren, die Angeklagte gefunden haben. Ja, würde denn ein normaler Mensch, nachdem er in das Medusenhaupt einer so entsetzlichen Tat geschaut, sich anders verhalten? Dr. Cohn sagt: er habe einen normalen Menschen in einer solchen Situation noch nicht gesehen. Es fehlt ihm also die Vergleichsmöglichkeit.

Die Herren Psychiater

walten gewiß sehr gründlich und sehr gewissenhaft ihres Amtes, sehen aber fast nur Kranke und vergessen ganz, daß Gott sei Dank ein größerer Prozentsatz der Menschen noch normal ist. Der Sachverständige hat ja auch die Angeklagte nach der Tat nicht gesehen, sondern nur die Darstellung

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/259&oldid=- (Version vom 6.3.2023)