Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/211

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

stets erforderliche Prügel einbrachte. Ich hatte absolut keine Zuneigung, weder zum Lehrer noch zu den Schularbeiten, und es verging kein Tag, daß dieselben ohne Tränen fertig wurden. Ich brachte es aber doch immer zur Versetzung, trotzdem noch einige Wochen Schulbesuch ausfiel wegen der üblichen Kinderkrankheiten Scharlach und Masern, der sich dann schließlich auch eine Umschulung wegen Verzuges nach Moabit in die dortige 199. Gemeindeschule anschloß. Gelegentlich dieser Umschulung wurde die Frage erörtert, ob man mich nicht in die Kgl. Elisabethschule in der Kochstraße stecken sollte, die bereits sämtliche weiblichen Verwandten meines Vaters besucht hatten. Klopfenden Herzens wurde ich auch von dem damaligen Schuldirektor examiniert, da aber eine augenblickliche starke Überfüllung in der Klasse, der ich hätte eingereiht werden müssen, herrschte, sollte ein Gesuch um Aufnahme ein Semester später wiederholt werden. Später wußte ich aber durch Bitten dahin zu wirken, daß dies unterblieb, da ich 1. eine ausgesprochene Abneigung gegen Zwang und Formen hatte, 2. aber mich für recht dumm hielt und ein Mich-lächerlich-Machen schwer überwinden konnte. Ich kam also in die genannte Schule, in der es mir ähnlich wie in der ersten erging. Ich kam zu einem alten Fräulein, das meinem einst- maligen Lehrer außerordentlich glich. Die ersten Zensuren fielen auch recht mäßig aus, ohne daß aber die Versetzung je ausblieb. Endlich kam ich in der 6. Klasse zu einem Fräulein gleichen Namens wie ich. Dieser Zufall ließ mich sie näher in Augenschein nehmen. Ich fand bald, daß sie weit netter, denn die übrigen Lehrkräfte war. Es machte mir auch nichts aus, daß ich wegen meiner fürchterlichen Schrift Hiebe bekam. Bei der zweiten Zensur hatte ich mich so wesentlich heraufgearbeitet, daß es allgemein auffiel. War mir früher das Lernen eine Strafe gewesen, so war es mir jetzt eine Lust, und gleichzeitig wuchs eine an Verehrung grenzende Liebe zu diesem Fräulein in mir. Sie

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/211&oldid=- (Version vom 15.2.2023)