Es wird alsdann nochmals die Dienstmagd Dora Moll vernommen, die zuerst die Leiche bemerkt hat. Die Zeugin bemerkt, daß sie am Peter-Paulstage Morgens und Mittags die Scheune gereinigt, aber keinerlei Blutspuren wahrgenommen habe.
Danach tritt eine längere Pause ein.
Gegen einviertel 5 Uhr Nachmittags eröffnet der Präsident, Landgerichts-Direktor Kluth, die Sitzung mit folgenden Worten:
Ehe wir in die Verhandlung eintreten, habe ich zu bemerken, daß ich, wie immer, wenn ich nach Hause komme, so auch heute Mittag, einen ganzen Stoß von Briefen vorgefunden habe.
So schreibt mir unter Anderen eine „Frau aus dem Volke“ aus Cöln einen drei Seiten langen Brief, in dem mir allerlei Rathschläge bezüglich der Prozeßverhandlung gegeben werden. Dieser Brief veranlaßt mich aber nicht, von den anonymen Briefen Mittheilung zu machen. Allein in einem anderen Schreiben wird gesagt: Man möge doch etwas schneller verhandeln und den Buschhoff nicht so liebevoll behandeln. Wenn ein Vorwurf gegen die Leitung der Verhandlung erhoben wird, so trifft derselbe zunächst den Vorsitzenden, ich habe deshalb einige Worte zu bemerken, die an alle im Saale Anwesenden, auch an das Publikum, gerichtet sind.
Ich bemerke nun, daß ich, so lange ich die Ehre habe, Vorsitzender zu sein, jeden Angeklagten genau ebenso behandelt habe, wie den Buschhoff. Es dürfte mir dies von Allen, die mich kennen, bestätigt werden. Ich sehe eben in jedem Angeklagten den Menschen, der Anspruch darauf hat, als Mensch behandelt zu werden. Ich fühle mich nicht veranlaßt, dem Buschhoff gegenüber eine Ausnahme zu machen. Was das Verlangen anlangt, schneller zu verhandeln, so mag es ja sein, daß ein eingehendes langsames Verhandeln die Neugierde nicht befriedigt. Allein wir sind nicht dazu da, um die Neugierde zu befriedigen, sondern es ist unsere Aufgabe, zumal in einer so hochwichtigen Sache wie der vorliegenden, durch eingehendste sorgfältige Verhandlung die Wahrheit zu ermitteln zu suchen.
Wir können nach dem Grundsatz, der in Lessing’s Nathan zum Ausdruck gelangt: „Thut nichts, der Jude wird verbrannt“, nicht verfahren. Ich wiederhole also, wir werden streng sachlich und sorgfältig verhandeln, wie es
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)